Geben und nehmen

28 zeigt das Display eines Messgerätes, in dem ein schmaler Streifen steckt mit einem Tropfen Blut. Die Frau, deren Zuckerwert der Arzt getestet hat, ist nicht mehr ansprechbar. Sie soll sofort ins Krankenhaus. Mit einem Rollstuhl fährt der Sohn sie durch die Straßen Beiruts, in denen Krankenhäuser unauffällig zwischen Hotels und Bürogebäuden stehen. 2000 Dollar will die Ärztin dort für die Aufnahme. Der Mutter geht es davon nicht besser.
Aus Syrien ist sie gekommen, als in Aleppo kein Stein auf dem anderen blieb. Lebt in Beirut, die Aufenthaltsgenehmigung inzwischen abgelaufen. Der Sohn kommt für die Miete auf. Ein Zimmer in einer Zweiraumwohnung. Kleine Küche und noch kleineres Bad. Das andere Zimmer vermietet an eine Frau in ähnlicher Situation. Freunde aus Beirut helfen. Mit Geld. Medikamenten. Mit Zeit.
Die bleibt ihr an diesem Vormittag im Krankenhaus nicht. Als illegaler Flüchtling ohne Versicherung. Ohne 2000 US-Dollar in der Kasse schreibt die Ärztin weiter WhatsAppNachrichten. Fassungslos der Sohn. Wütend. Dann läuft er los. Besorgt Wasser, gibt Zucker hinein. Benetzt die Lippen seiner Mutter. Läuft hinaus zu einem Straßenhändler, bringt Bananen ins Krankenhaus zur Mutter. Zuckerwasser und Banane helfen. “They would have let her die just because of money.”
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Das Y fehlt in Palmyra zwischen roten Buchstaben auf dem gelben Untergrund. Syriens Altertum hängt an einer steinernen Fassade gegenüber der mehr als 5000 Jahre alten Stadt Baalbek. Inmitten der Bekaa-Ebene, dreißig Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Bis Damaskus ist es nur noch eine Stunde. Zu meiden laut Auswärtigem Amt. Zu besuchen laut Menschenverstand.
“Hundreds of people, hundreds of people.” Hunderte Leute hätten dort früher zwischen Bacchus- und Jupitertempel getanzt und gesungen. Wir stehen auf dem Dach von Palmyra. Ein Mann in schwarzem Anzug, weißem Hemd und Fliege hat uns hinaufgeführt. Hinauf in langsamen Schritten über die teppichbeschwerten Marmorstufen.
Seit 60 Jahren arbeitet Salim im ersten Hotel am Platz. Charles de Gaulles, Fairuz, Jean Cocteau, Archäologen aus Deutschland, die freilegen, katalogisieren in den 60ern in Baalbek. Sie alle waren über die Marmorstufen hinaufgelangt in ihre Zimmer, mit Decken höher als in jedem Berliner Altbau. Mit Kommoden aus Zedernholz, Spiegeln – so riesig, dass eine Großfamilie ihr Abbild darin findet. Haben ausgeruht auf den Diwanen in den Salons, Briefe geschrieben am Sekretär mit Blick auf die höchsten Säulen der Welt. Haben gekocht mit Salim in der Küche. Gelacht und getrunken. Gelebt.
Salim kann sie noch erzählen, die Geschichten. Beim türkischen Kaffee im luftigen Hof. An den Tischen um den Brunnen, aus dem kein Wasser mehr sprudelt! bleiben die Stühle leer. Dass wir die einzigen sind in Palmyra, vergessen wir schnell. Dass wir wiederkommen, steht fest. “I will be here”, verspricht Salim und drückt die Hand fest zum Abschied.

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