Die Mutter aller Neugier

In den vergangenen Tagen ist wieder viel geschrieben worden. Darüber, was Journalismus ausmacht. Darüber, was Journalisten ausmacht.

Keine Frage: Es sind der Biss, die Genauigkeit, das Wählen der Worte, der Bilder, der Töne. Es sind die Fähigkeiten, Themen zu erschließen und Geschichten zu erkennen, und mehr noch als zu Zeiten unserer Vorfahren: sich zu verkaufen. Was fehlt in der obigen Aufzählung, sind Mut und Neugier.

Nun kann man sich darüber streiten, ob es mutig ist, in 100 Metern Höhe auf der Gondel eines Windrades zu hocken, um über die Weite der Landschaft zu träumen. Oder in einer Kleinstadt ohne Ansehen des Bürgermeisters über Kommunalpolitik zu berichten. Alles kein Vergleich zu jenen, die ihr Leben riskieren. Kein Vergleich zu jenen, die Politkowskaja heißen oder Byron Baldón.

Mut also ist nicht gleich Mut. Manchmal ist er auch Notwendigkeit, um Journalist zu sein.

Ich schätze mich glücklich, meinen Mut anders unter Beweis stellen zu dürfen. Einen Mut, der es mir leicht macht, meine Neugier walten zu lassen.

Eine Neugier, die mir nun etwas vors Haus gespült hat, das meinen Mut jedenfalls auch erfordert. Pirat. Segelboot. Mit Ausreitgurten.

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Warum wir sind, was wir sind

Wer Dir zeigte, wie Du die Wiener in den Mund schieben kannst.

Du weißt es nicht.

Woher das Grün kommt in Deinen Augen.

Du weißt es nicht.

Wer Dir ein Schlaflied sang.

Du weißt es nicht.

Jette ist zwei, als sich das Leben ihrer Mutter ändert. Als der ging, der es gewesen sein könnte. Das mit der Wiener, dem Grün und dem Schlaflied. Er ging oder er wurde gegangen. Sie weiß es nicht. Der eine sagt so. Der andere so.

Des einen Ende, des anderen Anfang

Klaus Zeisler ist Mitte 50, als er liest, was von wem gesagt wurde. Als er erfährt, warum sich sein Leben von einem auf den anderen Tag geändert hat. Dieser Tag begann mit Sonne und wurde sein Ende.

Ein Ende, das anderen ein Anfang war. Weil sie über Dinge sprachen, die sie nichts angingen. Oder sie so sehr angingen, dass sie sie besser für sich behalten hätten. Worte, die Freunde tauschen oder Liebende. Und nun: fließen Tränen. Tränen der Reue.

Ein Brief, der schweigt

IM “Thomas” weint. Und sieht man sie dabei zum ersten Mal, kommen einem die Tränen selbst. Beim zweiten Mal hört man ihr zu. Und die Wut erstickt die Tränen.

Jette wischt sich den Rotz von der Nase. Gut 30 Jahre danach. Holt aus der Familienkommode das Familienalbum. Den Brief an die Eltern, den er schrieb, als er ging. Oder gegangen wurde. Sie weiß es ja nicht.

Und das Schweigen ist groß.  Größer geworden, nachdem die Eltern, die den Brief noch im Kuvert aufbewahrten, auch gegangen sind. Zwei Grabsteine zeugen davon.

Wessen Tränen weinen wir

Auf einem weiteren steht: Norbert Vogel. Um den weint IM “Thomas”. Aber ihre Tränen kann er nicht mehr sehen. Vielleicht gehören sie nur ihr. Vielleicht sind es nur Tränen für sie selbst. Weil Angst und Schuldgefühle auch dazu rühren.

Woran erkennt man, wem die Tränen des anderen gehören. Woran erkannte Dieter Hempel, wer zu wem gehörte. Er fährt sich mit den langen Fingern durch das volle, dunkle Haar. Verbirgt seine Tränen in der Handfläche. Nur ein Schluchzen sickert zwischen den Fingern hindurch. 35 Jahre, nachdem sie ihn zu einer Unterschrift zwangen.

Sie finden, wen sie suchen

Unterschrieben ist der Brief an die Eltern auch. “Es grüßt Euch Euer Sohn … ” Er ist fünf Mal gefaltet. Er trägt keinen Datumsstempel, das Kuvert keine Marke. Er hat ihn selbst in den Briefkasten gesteckt. Damit sie ihn nicht finden.

Die, die IM “Thomas” und Dieter Hempel fanden. Die, die Klaus Zeislers Leben von der Sonne zum Ende führten. Sie versuchten, die Wurzeln zu kappen. Und oft genug gelang es ihnen auch. Der “Thomas”, der Hempel und der Zeisler – sie wissen nun, warum. Sie haben ihre Akten gelesen. In einer Außenstelle des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Haben ihre Leben in Berichten des Ministeriums für Staatssicherheit gefunden. Jette, sie sucht noch.

RadioFilmDossier

Fünf Jahre hat ein Journalist des NDR in diesen und vielen weiteren Akten gewühlt. Aus den geschwärzten Worten, aus den geschwärzten Bildern Menschen gemacht. Menschen, die die meisten 20 Jahre nach der Wende nicht sein wollen. Aber sie sind es.

“Als aus Sportlern Spitzel wurden” läuft am 6. Mai im Capitol in Schwerin anlässlich des 22. Filmkunstfestes. Ein OnlineDossier begleitet die NDR Dokumentation über “Das Stasi-Erbe des SC Neubrandenburg”. Und das RadioFeature gibt es zum Nachhören in einzelnen Episoden.

Verplant. Und erwachsen.

Das Jahr ist gerade vier Wochen alt. Vieles war wie im vergangenen. Nur Freitag, der 13., brachte was  Neues. Die NiF.

Nachricht im Film ist den etablierten Kollegen zu lang. Deshalb wird daraus kurzer Hand die NiF. 25 – 30 Sekunden Bewegtbild und ein Text, in dem der Autor eigentlich kaum mehr sagen kann, als dieses und jenes hat dort und dann stattgefunden. Der war dabei, und das wird kommen. Punkt.

Dass diese 25 – 30 Sekunden gut 24 Stunden meines Lebens – des wachenden und des verschlafenden – beeinflusst haben, mag sich jeder vorstellen, der bislang mit Stift, Zettel und Mikrophon unterwegs war. Allein. Ganz ohne Team.

Meinem Team – den Vornamen nach Franzose und Engländer – begegnete ich das erste Mal ein paar Stunden vor der NiF-Premiere. Sie würden mir meinen Erstling schon versauen, waren sich die Männer einig. Prima – wir betrachten das Leben durch die gleiche Kamera, dachte ich. Und wir hatten Spaß.

Die Bilder waren im Kasten, die Töne für die Atmo auch. Wir reisten ab. Und dann folgten alle Erstlingsfehler, die ein Erstling machen kann. Ich hoffe, dass es alle waren. Doch die erste Aufregung meines 2012 flimmerte pünktlich in 25 Sekunden durch das Nachrichtenmagazin.

Und so wurde es Zeit, die restlichen Wochen im Jahr 2012 anzusehen. Welche Aufregungen erwarten mich. Und ich stellte fest, dass keines meiner bisherigen Lebensjahre derart verplant war von Beginn an wie dieses. Und mich überkam das absurde Gefühl von Erwachsensein. Das Leben verplanend. Die Zeit bändigend. Strukturierend. Wissend, was wird.

Dabei habe ich stets versucht, dieses Gefühl von mir fern  zu halten. Ich verzichte seit dem Auszug nach dem Abitur auf ein Sofa. Sofa ist sesshaft. Ist Stillstand. Besitze nicht mehr als vier Frühstücksteller. Wer bei mir übernachtet,  muss sich ein Kissen mitbringen. Gerade so viel an Alltagsutensilien besitze ich, dass die Umzugskartons in zwei Tagen gepackt sind.

Und nun: Ist das Jahr 2012 durchgestylt im Duktus monatlicher Ereignisse. Im Rythmus von Starten und Landen. Reisen. Europa, ich komme.

 


Verplant. Verreist. auf einer größeren Karte anzeigen

Ein Sternchen für Felix

Es wird kein Foto geben in dieser Geschichte. Und auch keinen Namen. Jedenfalls keinen richtigen. Ich werde zum ersten Mal ein Sternchen hinter Felix setzen. Ein Sternchen für “Name von der Redaktion geändert”. Der Leser wird nicht erfahren, wo die Geschichte spielt. Nur wie sie spielt. Die Geschichte von Felix.

Fast 16 Jahre ist er alt. Groß wie ein Mann. Und massig. Hinter der aufgeworfenen Oberlippe stößt die Zunge an die schiefen Zähne. Manchmal. Bei Worten wie “Deutschland”. “Scheiße”. “Geschnetzeltes”.

Felix arbeitet. In einem Projekt für benachteiligte Jugendliche sticht er Spaten in die Erde, reißt Sträucher raus oder hackt Holz. Sein großer Bruder passt auf, dass er morgens pünktlich am Treffpunkt ist. Dort, wo die Betreuer mit ihm den Tag beginnen. Mit ihm und den anderen.

Sein großer Bruder ist bekannt – dort, wo Felix lebt. Polizeibekannt. Deshalb, sagt Felix, sollte aus ihm ja immer etwas Besseres werden. Längst stehen Raub, Körperverletzung, Diebstahl in seiner Akte. Dass er trotzdem Sträucher rausreißen und Holz hacken darf, verdankt er dem Jugendstrafrecht. Die falschen Freunde, sagt Felix. Und klingt wie einer der Sozialarbeiter, die sich um ihn kümmern. Die Freunde brachten ihm bei, Autos zu knacken, Passanten zu überfallen, Zigaretten zu drehen.

Nun hat Felix neue Freunde. Sie nehmen ihm die Zigaretten weg und den Alkohol. “Die achten auf meine Gesundheit, auf die kann ich mich verlassen”, sagt er. Felix isst auch keine Pizza mehr. Keinen Döner. Und schon gar nicht bei McDonald’s. “Besatzerfraß”, sagt er.  Dieses Wort haben sie ihm  beigebracht. Die neuen Freunde.

In der Akte steht nun auch Volksverhetzung. Doch Felix ist gut informiert. Die Hakenkreuze auf seinem Handydisplay zeigt er nur dem, den er nicht fürchtet. Aber dort, wo Felix lebt, fürchten sie ihn. Denn die neuen Freunde stehen hinter ihm. Allen voran der mächtigste. Der große Bruder.

Sie brachten ihm bei, Menschen zu jagen und auf sie einzuschlagen. “Prügeln”, sagt Felix, “hilft, Rachegefühle zu entwickeln. Den Körper zu spüren. Um im richtigen Moment das eigene Leben zu riskieren – für das Deutsche Reich.”

Sie brachten ihm auch bei, zu singen. Strophe für Strophe und mit rauer Stimme. Lieder von Vaterland und Sturmbannführer. Davon, dass die Bäume nicht ausreichen, um alle Türken daran aufzuhängen. Er lacht dabei. Und weicht Fragen nicht aus. Warum er glaubt, dass es den Holocaust nicht gab? Ein Video habe er gesehen. In Auschwitz sei er gewesen. “Wie die die Juden dort gemeuchelt haben sollen – das ist krank. Das ist gestört.”

Felix freut sich auf einen Tag in zwei Wochen. Dann treffen sich seine Freunde von nah und fern. Im Wald hinter dem Dreesch. Einem Plattenbauviertel, in dem der Putz von den Wänden bröckelt. Dort zwischen den Bäumen wird Frank Rennicke auf der Bühne stehen. Er wird auf seiner Gitarre zupfen. Und Lieder singen – von Heimat, Zusammenhalt. Von seinen und der anderen Toten, die für Hitler ihr Leben ließen. Von Rudolf Heß. Und Felix wird seinen kleinen Augen zusammenkneifen. Ein wahrer Bursche wie er – dem tränen nie die Augen. Der weint nicht. Nein.

Getippt. Und verraten. + Nachtrag

 

Schrift ist etwas Elementares. Erst recht die Handschrift. Die auf das Papier getinteten Buchstaben. Ob leserlich oder unleserlich, war für mich nie die Frage.

Viel entscheidender: In welcher Neigung landen sie im Kalender. Auf einem Schmierzettel. Oder in einem Liebesbrief. Links gekippt geht nicht. Links gekippt und dazu “a”, “u” und “e” in breiten Rundungen geht gar nicht.

So einfach habe ich mir das mal gemacht. Die Leute allesamt über einen Buchstaben geschert. Dass es tatsächlich Untersuchungen darüber gibt, was das Schriftbild über einen Menschen aussagt, weiß ich wohl. Einem Graphologen werde ich meine Buchstaben dennoch nicht vorlegen. Einem kostenlosen OnlineGraphologen schon mal gar nicht.

Schrift/Abbildung: Parole von www.fontshop.de
Schrift/Abbildung: Parole von www.fontshop.de

Ausgangspunkt für diese Gedanken: Die Recherche für ein Projekt. Nun könnte ich mich in diesem Zusammenhang über ein CMS auslassen, das den Mittelteil im Worte nicht wert ist. (Reichlich viele “nicht” in diesem Post – umwandeln, bitte.) Aber ich lasse das mal beiseite. Dennoch ist es dieses CMS, das mich zu dieser Recherche gezwungen hat.

Nein. Ich werde nicht rebellieren. Der Juno ist längst vergangen. Es. Ist. November. Und den Termin hätte ich bis dahin längst vergessen. Und den Schäuble vermutlich auch.

Ich suche Schrift. Genauer gesagt, Schrifttypen. SchreibmaschinenSchrifttypen. Um ganz genau zu sein. Und bin sehr erstaunt, was sich da alles im Netz findet. Wer auch mal danach sucht, kann sich etwa auf nachfolgenden Links umsehen:

fontriver.com oda

myfont.de oda

schriftarten-fonts.de.

Runde gibt’s da auch. …

NACHTRAG

Ok. Ich konnte es nicht lassen. Und habe diesen Test gemacht. Und nachfolgenden Text in der mir eigenen Handschrift zu Papier gebracht.

Und das Ergebnis der OnlineGraphologie sagt dazu:

“Die Deutung der Handschrift brachte folgendes Ergebnis:

Nicole Buchmann ist selbstbewusst und bereit,
ihre Stärken auch anderen zu zeigen.
Sie ist locker und großzügig.

Chefs sind nun mal so.

Sie ist sinnlich, warmherzig, gemütlich und phantasievoll.
Im Großen und Ganzen wirkt sie gelassen bis uninteressiert,
wenn sie aber von einer Sache überzeugt ist, überrascht sie
ihre Umwelt durch ihr überschwängliches und begeisterungsfähiges Auftreten.

Sie ist lebhaft und kontaktfreudig.
Mit viel Verständnis für die Belange anderer.

Sie arbeitet sehr genau und zeichnet sich durch rationales, analytisches Denken aus.

Nicole Buchmann wirkt oft etwas nervös und wenig entspannt.


Diese Deutung wurde auf den Seiten von www.graphologies.de erstellt.”

Geschrieben. Und verraten.