Zurück zum Lokalen?

Schreiben, wenn es einem schlecht geht. Wenn nichts läuft, wie es soll. Um schon nach zwei Sätzen festzustellen: So schlecht geht’s ja auch nicht. Und manches läuft ja doch.

Nun, da ich mich neu orientiere, Online – wenigstens dienstlich – den Rücken gekehrt und dem Fernsehen das Gesicht zugewandt habe, fühlt sich das an wie das erste Mal. Die Unsicherheit reicht für drei NachrichtenSendungen, die Vorfreude für drei Geburtstage. Immerhin – es hält sich die Waage.

Und dann lese ich diesen Blogeintrag von Juliane Wiedemeier. Denke zurück an die Zeit im Lokalen, an das Konzept für ein hyperlokales Blog, das seit nunmehr drei Jahren in der Schublade wartet.

Und ich zweifle, zweifle, zweifle. Daran, dass in öffentlich-rechtlichen Sendern die Zukunft des Journalismus liegt. Denn die ist dort zum einen reglementiert durch den Rundfunkstaatsvertrag, zum anderen aber auch beschnitten durch die fehlende Notwendigkeit, innovativ zu sein.

Nun feiere ich aber erst einmal Geburtstag. Der nächste Drehtag steht an.

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Nachtrag. 29.03.2013.

Ich wusste, dass mir Ähnliches durch den Kopf gegangen is vor ein paar Jahren. Und nun weiß ich auch, warum mich der Post von Juliane Wiedemeier so angesprochen hat.

Die Mutter aller Neugier

In den vergangenen Tagen ist wieder viel geschrieben worden. Darüber, was Journalismus ausmacht. Darüber, was Journalisten ausmacht.

Keine Frage: Es sind der Biss, die Genauigkeit, das Wählen der Worte, der Bilder, der Töne. Es sind die Fähigkeiten, Themen zu erschließen und Geschichten zu erkennen, und mehr noch als zu Zeiten unserer Vorfahren: sich zu verkaufen. Was fehlt in der obigen Aufzählung, sind Mut und Neugier.

Nun kann man sich darüber streiten, ob es mutig ist, in 100 Metern Höhe auf der Gondel eines Windrades zu hocken, um über die Weite der Landschaft zu träumen. Oder in einer Kleinstadt ohne Ansehen des Bürgermeisters über Kommunalpolitik zu berichten. Alles kein Vergleich zu jenen, die ihr Leben riskieren. Kein Vergleich zu jenen, die Politkowskaja heißen oder Byron Baldón.

Mut also ist nicht gleich Mut. Manchmal ist er auch Notwendigkeit, um Journalist zu sein.

Ich schätze mich glücklich, meinen Mut anders unter Beweis stellen zu dürfen. Einen Mut, der es mir leicht macht, meine Neugier walten zu lassen.

Eine Neugier, die mir nun etwas vors Haus gespült hat, das meinen Mut jedenfalls auch erfordert. Pirat. Segelboot. Mit Ausreitgurten.

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Warum wir sind, was wir sind

Wer Dir zeigte, wie Du die Wiener in den Mund schieben kannst.

Du weißt es nicht.

Woher das Grün kommt in Deinen Augen.

Du weißt es nicht.

Wer Dir ein Schlaflied sang.

Du weißt es nicht.

Jette ist zwei, als sich das Leben ihrer Mutter ändert. Als der ging, der es gewesen sein könnte. Das mit der Wiener, dem Grün und dem Schlaflied. Er ging oder er wurde gegangen. Sie weiß es nicht. Der eine sagt so. Der andere so.

Des einen Ende, des anderen Anfang

Klaus Zeisler ist Mitte 50, als er liest, was von wem gesagt wurde. Als er erfährt, warum sich sein Leben von einem auf den anderen Tag geändert hat. Dieser Tag begann mit Sonne und wurde sein Ende.

Ein Ende, das anderen ein Anfang war. Weil sie über Dinge sprachen, die sie nichts angingen. Oder sie so sehr angingen, dass sie sie besser für sich behalten hätten. Worte, die Freunde tauschen oder Liebende. Und nun: fließen Tränen. Tränen der Reue.

Ein Brief, der schweigt

IM “Thomas” weint. Und sieht man sie dabei zum ersten Mal, kommen einem die Tränen selbst. Beim zweiten Mal hört man ihr zu. Und die Wut erstickt die Tränen.

Jette wischt sich den Rotz von der Nase. Gut 30 Jahre danach. Holt aus der Familienkommode das Familienalbum. Den Brief an die Eltern, den er schrieb, als er ging. Oder gegangen wurde. Sie weiß es ja nicht.

Und das Schweigen ist groß.  Größer geworden, nachdem die Eltern, die den Brief noch im Kuvert aufbewahrten, auch gegangen sind. Zwei Grabsteine zeugen davon.

Wessen Tränen weinen wir

Auf einem weiteren steht: Norbert Vogel. Um den weint IM “Thomas”. Aber ihre Tränen kann er nicht mehr sehen. Vielleicht gehören sie nur ihr. Vielleicht sind es nur Tränen für sie selbst. Weil Angst und Schuldgefühle auch dazu rühren.

Woran erkennt man, wem die Tränen des anderen gehören. Woran erkannte Dieter Hempel, wer zu wem gehörte. Er fährt sich mit den langen Fingern durch das volle, dunkle Haar. Verbirgt seine Tränen in der Handfläche. Nur ein Schluchzen sickert zwischen den Fingern hindurch. 35 Jahre, nachdem sie ihn zu einer Unterschrift zwangen.

Sie finden, wen sie suchen

Unterschrieben ist der Brief an die Eltern auch. “Es grüßt Euch Euer Sohn … ” Er ist fünf Mal gefaltet. Er trägt keinen Datumsstempel, das Kuvert keine Marke. Er hat ihn selbst in den Briefkasten gesteckt. Damit sie ihn nicht finden.

Die, die IM “Thomas” und Dieter Hempel fanden. Die, die Klaus Zeislers Leben von der Sonne zum Ende führten. Sie versuchten, die Wurzeln zu kappen. Und oft genug gelang es ihnen auch. Der “Thomas”, der Hempel und der Zeisler – sie wissen nun, warum. Sie haben ihre Akten gelesen. In einer Außenstelle des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Haben ihre Leben in Berichten des Ministeriums für Staatssicherheit gefunden. Jette, sie sucht noch.

RadioFilmDossier

Fünf Jahre hat ein Journalist des NDR in diesen und vielen weiteren Akten gewühlt. Aus den geschwärzten Worten, aus den geschwärzten Bildern Menschen gemacht. Menschen, die die meisten 20 Jahre nach der Wende nicht sein wollen. Aber sie sind es.

“Als aus Sportlern Spitzel wurden” läuft am 6. Mai im Capitol in Schwerin anlässlich des 22. Filmkunstfestes. Ein OnlineDossier begleitet die NDR Dokumentation über “Das Stasi-Erbe des SC Neubrandenburg”. Und das RadioFeature gibt es zum Nachhören in einzelnen Episoden.