Einkaufen. Fast wie in Europa.

Shoppen. “One of my favourite thing to do”, sage ich zu Flo und verziehe das Gesicht. Für 21 Euro erstehen wir drei Stücken Fleisch. Fürs Abendessen an Bord. Nach vier Restaurants und drei Pleiten investieren wir die mindestens 25 Euro pro Person lieber in Selbstgekochtes. Dank sei Franco. 
Weiter geht es zu den Gemüseständen. 73 an der Zahl. Mindestens. Männer, Frauen, Kinder preisen ihre Waren. “Tomato, Mademoiselle?! – Merci – Banana, Madame?! – Merci.” Auberginen, etwas, das aussieht wie Paprika, kleine rosafarbene Hütchen, die so lustig aussehen, dass ich sie probieren will. Pommes de rose ist beim Reinbeißen fest wie eine Paprika. Das Fruchtfleisch wenig saftig. Auf der Zunge bleibt ein Geschmack von Zitrone. Für einen Euro wandern 14 rosafarbene Hütchen in eine Plastiktüte und dann und nach in meinen Mund. 
Es ist Regenzeit in FrenchGuyana. Die Straßen dennoch staubig. Der Wind trocknet sie im Nu’ und bringt süße Erinnerungen aus der Heimat. Vorbei an baufälligen Hütten aus Holz, aus deren Fenstern dünne Vorhänge wehen und riesige Satellitenschüsseln das Fernsehprogramm übertragen, ans Ende von St. Laurent du Maroni zum großen Supermarkt.

Samstagvormittag. Der Parkplatz bis auf die letzte weiß gekennzeichnete Fläche gefüllt. An den Kassen Schlangen von Einkaufswägen, gefüllt fürs Wochenende. In den Regalen grüßen Europa und französische Preise. Gut um die Hälfte teurer sind Obst und Käse. Die Flasche Wasser kostet gar vier Mal so viel. Mein Bummel durch die Gänge währt nur kurz. Die doppelte Zeit warte ich an der Kasse. Die dreiköpfige Familie vor mir vertreibt eine junge Frau, die sich in der Schlange nach vorn mogeln will. Es ist nicht die, die mir bei meinem ersten Einkauf dort ihre Waren zum Bezahlen unterjubeln wollte. Erfolglos. Flo streift derweil weiter durch den französischen Konsum. Die Familie bezahlt. 162,02 Euro. Im Wagen nur Essen. 
Die Bordsteinkante draußen wird die darauffolgenden vierzig Minuten mein Beobachtungsposten. Ohrring und Piercing schmücken die dunkle Haut. Die weiße zieren Tatoos. Kaum einer oder eine, die auf Körpeschmuck verzichtet. In den Gesichtern selten ein Lächeln. Mehr Trägheit – wohl ob der feuchten Hitze. Ein Opel, der schon beim Lenken auseinander fallen will. Ein tiefer gelegter Golf mit schwarz getönten Scheiben. Ein Audi mit Alufelgen. 

Wir schleppen die Einkäufe zurück in die Marina. Vorbei an jungen Männern, die Schnaps und Cola auf einem Motoroller parken. Samstagmittag in St. Laurent du Maroni.  

Kriminell wird man schnell

Ein Schiff gehört aufs Wasser. Keine Frage. Dass wir seit drei Tagen an einer Boje im Fluss hängen, finde ich nur begrenzt amüsant. Kein Strom. Kein Wasser. Das ist noch nicht einmal problematisch. Was meinen Herzschlag erhöht, ist das Übersetzen mit dem Dinghi. Gebaut in Brasilien. Aus einer Form, die noch nicht allzu oft zum Dinghi wurde zuvor. Das alte hatten sie Micha auf den Kapverden gestohlen. Samt Motor.
Das neue – nun – erinnert an einen Optimisten. Diese kleine eckige Kiste, mit der die Stepkes Segeln lernen. Überall auf der Welt. Auch hier auf dem Maroni. Michas Dinghi nun hat zwei Ruderdalben und einen Motor. Ist ohne Schwert aber kippeliger und sehr viel kleiner als ein herkömmlicher Angelkahn. Und der Fluss ein übermächtiger Gegner. Mit einer Flut, die das Wasser Wellen schlagen lässt wie auf der Ostsee. Übersetzen ist dann unmöglich. 

Ein Mal an Land, genießen Micha und ich einen Frühstückskaffee und ein Croissant bei David im MarinaOffice. Wir wollen noch bei dem jungen Mann vorbei, der hinter zwei schweren Gittertüren seinem Geschäft nachgeht. Wer zu ihm will, muss klingeln. Wer kaufen will, braucht einen Identitätsnachweis.

Micha will kaufen. Er blickt voraus auf die Überfahrt von Trinidad nach Martinique. Auf einer stillgegelegten Ölplattform haben sich Piraten verschanzt. Sie warten dort auf die, die auf schnellstem Weg ihr Ziel erreichen wollen. Dass laut Statistik der genau so oft verletzt wird, der sich wehrt gegen einen Angriff der Piraten, wie der, der sich kampflos alles nehmen lässt, führt den Pazifisten Micha also hinter die zwei Gittertüren. 

Dunkel ist es. Eine Klimaanlage kühlt den kleinen Raum auf gefühlt 18 Grad. Hinter den Vitrinen Winchester, Baretta, Taurus. Mit einfachem Lauf, mit doppeltem. Revolver, Macheten, Gummischleudern. Daneben das Todbringende für Fische. Angeln, Köder, Sehnen. Der junge Mann holt unterm Tresen eine Pappschachtel hervor. Munition, sieben Millimeter. Dass er nicht töten, nur erschrecken will, wenn er mit der Pumpgun durchlädt, erklärt Micha dem jungen Mann. 

Zwei Männer betreten den Laden. Einheimische. Begleitet von einer Frau. “Bonjour”, sage ich und lächle. Der GunShop – ganz offensichtlich kein Ort für Freundlichkeiten. Nur ein paar Meter weiter landen die KokainBoote an am Ufer des Maroni. Manchmal bringen sie auch illegal geschürftes Gold. 

Wir sollen wiederkommen, sagt der junge Mann. Er will versuchen, die Pumpgun in Cayenne zu besorgen. Zurück zum Dinghi also. Zur herzrasenden Überfahrt. Das Ruchlose des Waffenladens hat mich gepackt. Ein Optimist fährt unter Segel. Kurz denke ich darüber nach, ihn zu stehlen. 

Ein Fluss zwischen zwei Welten

Neun Jahre alt und schwanger. Das sei Rekord, sagt David. Der Marinabetreiber hat uns in seinen Citroën geladen, kurvt uns durch St. Laurent du Maroni und erzählt. Dass Mütter ihre zehn Jahre alten Töchter schwängern lassen. Weil es Geld gibt vom Staat für jedes Kind, das geboren wird in FranzösischGuyana. 450 Euro pro Kind. Pro Monat. Sie tun das, weil sie nach sieben, acht eigenen Kindern selbst keine mehr bekommen können. Und das Geld an sie geht, so lange die eigenen Kinder noch nicht volljährig sind. Die Frauen aus Surinam, die Frauen von der anderen Seite des Flusses. 

Der Maroni – Ländergrenze, Grenze zwischen arm und es reicht zum Leben. Mehr als 200 Pironi queren das schlammbraune Wasser jeden Tag. Die aus Baumstämmen gebauten Boote mit den starken Motoren bringen die in St. Laurent geborenen Kinder aus Surinam zur Schule. Denn wer in FranzösischGuyana zur Welt kommt, hat die Pflicht, zu lernen. Sonst streicht Frankreich die 450 Euro pro Monat.
So spazieren die Mädchen und Jungen entlang pittoresker Häuschen mit hölzernen Fensterläden, getüncht in lila, hellblau oder grün die Straßen hinunter, entlang der der kleinen Lebensmittelläden, die fast ausnahmslos von Chinesen betrieben werden. Vorbei an Kaffeehäusern, Bars und Lokalen, aus denen das Palaver der Männer über 15 schallt. Der Väter all’ dieser Kinder. 

Fucking for money, nennt David das. Und erzählt, dass das Durchschnittsalter unter den offiziell 40000 Einwohnern in St. Laurent bei 15 Jahren liegt. Dass die Jugendkriminalität hoch sei. Dass es für die sieben, acht Geschwister oft keine richtige Familie gebe, weil die Anzahl der Väter nicht selten die der Geschwister sei. Und die sieben-, achtfachen Mütter wohl darauf achteten, dass die Mädchen und Jungen das Pironi zur Schule besteigen, die Achtsamkeit sonst jedoch ziemlich gering ausfiele.

So gering, dass die Kinder von heute die Schmuggler von morgen sein werden. Die Pironi – sie bringen nicht nur Mädchen und Jungen mit Schulrucksäcken über den Maroni, sondern auch tonnenweise Kokain. 

Vom Winde verschmäht

Grundsätzliches

Die Zeit geht anders auf See. Kaum lässt sich schneller sagen oder langsamer. Sie geht anders. Wachen und schlafen gehören nicht dem Tag, der Nacht. Wachen und Schlafen gehören dem Schiff.

So ordnet sich alles dem unter, Sandine sicher durch den Atlantik zu steuern. Gegen jeden Hunger, jeden Durst, jede Müdigkeit. (Mit aller Ernsthaftigkeit.) 

Ablegen

Das Delta des Paraiba liegt vor uns, die Marina von Jacaré ist schon nicht mehr auszumachen zwischen den Mangroven. TockTockTockBrrrr – Stille. Der Motor fällt aus. Sandine setzt Segel. 1625 Seemeilen liegen vor ihr. Die Crew indes liegt an Deck. Hängt mehr. Ein Teil über der Reling. Fische füttern. Mit Müsli und Sandwich, die kurz zuvor noch Mahlzeit waren. Auch mir wird schlecht. Vom Geräusch würgender Mitsegler. Micha bezahlt seinen fast zwölfmonatigen Landgang am teuersten. Fast drei Tage lähmt ihn die Seekrankheit. Ohne ihn jedoch davon abzubringen, dem Schiff zu gehören. Das Grundsätzliche eben. 

Hungrige Segel und durstige Kehlen

Der Wind träumt über Tag. Ungewöhnlich. Wir sind mit dem Passat unterwegs. Doch mehr als fünf Knoten schaffen wir nicht. Das Großsegel bleibt im Mast. Zu umtriebig ist der Wind, als dass er uns unter einem Schmetterling voranbringt. Der Atlantik ist Mittelmeer. Kurz die Welle. Allein die Wärme unterscheidet diese Tage von jenen im Februar 2015 zwischen Griechenland und Italien. 

Micha lässt den blauen Ozean sein T-Shirt waschen. An der Leine im Kielwasser sieht es aus wie eine Goldmakrele. Auf der anderen Seite am Heck zieht eine Angel einen Thunfischköder durchs Wasser. Die Aussicht auf Tuna bringt Franco ins Schwärmen. Nach ein paar Stunden fehlen T-Shirt und Köder. Nichts zum Anziehen und nichts zum Essen. 
Jedenfalls keinen Thunfisch. Das, was Florence und Franco Abend für Abend aus scheppernden Töpfen auftischen, ist hingegen deliziös. Die weichen, saftigen Mangos, süße Ananas, herbe Maracuja. Steaks un point. So geht das vier Tage. Dann müssen die Dosen ran. Die Pasta und der Reis. Pasta mit Thunfisch in Öl. Reis mit Thunfisch in Tomatensauce. Pasta mit Thunfisch in Tomatensauce. Reis mit Thunfisch in Öl. Müsli mit Kondensmilch. Die Milch ist alle. Pasta mit Zucker zum Frühstück. Das Müsli ist alle. Karamellbonbons als kleine EnergieHappen zwischendurch. Ich verzichte. Zu süß. Zu viel Durst danach. Jedem bleiben noch fünf Liter Wasser – für fünf Tage. 
Dazu eine Sonne, die uns unter die Bimini treibt. Uns schwitzen lässt nur beim Sitzen – trotz des Windes. Auch der warm. Wenn Regen aufkommt – plötzlich und mit einer solchen Wucht, dass die Wellen nur noch kleine Kräusel sind, – fühlt es sich an wie unter einer warmen Dusche. Zeit, die leeren 5-Liter-Flaschen unter das Rinnsal zu halten, das vom Segeltuch läuft. Fast drei Liter sind es am Ende. Wasser aus dem Himmel. Seichter als jedes, das zum Verkosten von Whiskey gereicht wird.

Da issa

Irgendwann kommt er dann. Der Passat. Konstant gut fünfzehn Knoten. Es geht auf Mittag zu. Die Ampere aus den Solarpanels wollen nicht mehr in die Batterie. Der nächste Sparstatus wird ausgerufen. Der Autopilot übernimmt von nun an nur noch in Notfällen. Das Steuerrad in meinen Händen hält Sandine auf Kurs. Von den Füßen bis in den Nacken spürt der Körper den Zug in den 66 Quadratmetern Genua.

Am Abend dann Freiwache an Deck. Über mir mehr Stern statt Himmel. Die Venus mit einem Schweif an Backbord. Das lange Auf und Ab der Passatwelle im Heck auf dem Schweif des fast vollen Mondes. Die nackten Beine über der Cockpitbank, die Unterarme aufgelehnt auf der Seereling, wird Sandine zur Babywiege. Rollt das Wasser heran, hebt und senkt Heck und Bug in sanftem Rhythmus. Auuuuuuuuuuuuf-aaaaaaaaaaaaab-auuuuuuuuuuuuf-aaaaaaaaaaaaab. Wie Atemübungen beim Yoga.
Die Welle, die dann über die Bordwand ins Cockpit geht des nachts – sie ist so unerwartet wie ein Gruß aus der Küche. Franco und ich sind hellwach und nass. Knöcheltief steht der Atlantik für einen Moment zu unseren Füßen. Und bevor das Wasser zum Heck hinausschwappt, findet es durch das kleine Fenster unter der Cockpitbank seinen Weg in meine Koje. 
Zweieinhalb Tage bleibt er – der Passat. Zweieinhalb Tage Ritt auf langen Wellen. Ein Grinsen auf dem Gesicht. Zweieinhalb Tage lang. Dann wieder Mittelmeer. Und wie auch dort geht der Mond auf auf dem Atlantik. Steigt herauf in strahlendem Rot. Eine Mondgeburt.

Sonstiges

Wir sitzen im Cockpit. Das Hin und Her zwischen den Sprachen ist anstrengend mitunter. Vor allem, wenn es selten nur verstummt. Nur eines macht Franco Schweigen: ein Zug an seiner Zigarette.

Abschied

Die Stunden in der Koje beginnen in Rückenlage. Die Arme ausgestreckt über dem Kopf. Mit jeder Welle lockern sich um die Wirbelsäule die Muskeln im Rumpf. Werden sie sanft hin- und hergeschoben. Das wird das erste sein, das ich vermisse – nach zwölf Tagen auf See an einer Mooring im Fluss vor St. Laurent du Maroni in FranzösischGuyana. 

 

Von Krokodilen und Freaks

Jacare – Fischerdorf mit Krokodilen also. Und WelcomePoint für TransatlantikSegler. Nun. Freaks, die meisten. So wie Jan. Jan aus Hamburg, in der SeglerSzene eine Berühmtheit. In der MenschenSzene eine Erscheinung. Nicht etwa ob seines Äußeren. Klein. Schmal. Von der Sonne gezeichnetes Haar. Ein paar Zähne fehlen. Eine Erscheinung wohl aber wegen seiner Art, sich das Leben zu greifen, wie es ihm passt. 
EinHand um die Welt will er. Mit einem Schiff, das vier Tonnen leicht und mit mehr als 265 Quadratmetern Segelfläche angsteinflößend übertakelt ist. Zum Vergleich: Sandine wiegt mit Crew und Kram 14 Tonnen. Die Segelfläche 110 Quadratmeter. Jan aber will einen Rekord brechen. Nach Wilfried Erdmann als nächster Deutscher allein und noch schneller als Erdmann um die Welt. Keine Ahnung, wie lange Erdmann gebraucht hat. Aber Jan wird mit diesem Schiff wohl schneller sein. Wenn er denn loskommt. Aus Jacare. 

Dass es noch ein paar Wochen dauern wird, ist gesetzt. Jan hat ein Loch im Bein. Fiese Bakterien, die sich bis zum Knochen vorgearbeitet haben. Hospital. Operation. Dann blutet er zwei Tage lang die Bar von Nicholas rot, während andere Segler jenseits der 60 nach brasilianischen Caipis mit nackten Oberkörpern zu eben so brasilianischen Rhythmen die Hüften schwingen, bis ihnen der Kopf auf den Holztisch fällt. 

Wir nutzen das Wlan in der Bar, um die Überfahrt vorzubereiten. Wind, Wellen, Regen – die Vorhersage macht Laune. Wir ändern die Route. Voraussegler haben von Piraten geschrieben vor Surinam. Und wenn wir ablegen später, wird Jan in Nicholas’ Bar sitzen oder an Bord seiner Rennyacht, sein Buch schreiben und hoffentlich bald genesen.