Ein Schiff sollte es sein – mit Langkiel und Stehhöhe. Die Suche währte lang und nahm ein jähes Ende. SMS einer Freundin. Gelesen. Fünf Tage später hingefahren, Probe gesegelt, gekauft. Mit diesem Grummeln im Magen wie vor einer Prüfung.
Keine Woche später stapeln sich im Einkaufswagen Wasserflaschen, Nudeln, Äpfel, Müsliriegel & Co.; liegt das Ölzeug bereit, werden Teller fehlen, Käsereibe und Splinte.
Der Plan: in drei Tagen von Flensburg nach Wismar. Die Wettervorhersage verschiedener Dienste und noch mehr Wetterapps versprechen, das könne gelingen. An Bord: Karo, die Freundin mit der SMS, Meike, die Freundin aus dem Zielhafen, und die neue Bootseignerin.
Unter Deck die ersten blauen Flecke. Ein Langkieler ist das Schiff, das einzige Komfortmerkmal – die Stehhöhe – bietet das IF Marieholm namens Lykke jedoch nicht. Dafür das Heimelige kleiner Behausungen, in denen – dreht man sich gebückt ein Mal um die eigene Achse – fast alles mit einem Griff zu erreichen ist.
Sonnenaufgang kurz vor halb sechs. Keine Ruhe mehr. Raus in den sehr frischen Morgen. Meikes Gesichtscréme: gefroren. Ablegen wollen wir gen Langballigau. Ein kurzer Schlag in der Flensburger Förde. Lykke kennenlernen, uns als Crew an Deck einspielen.
Am Himmel wechseln Sonne und Wolke, der Wind kommt aus Nordost. Wir kreuzen. Genießen. Und gucken. Das Oberwant in Lee schlackert. Wie auf Pirat Erika, denke ich. Karo bleibt skeptisch.
Wir legen die Untiefentonne zur „Schwiegermutter“ an. „Das Want is lose!!“ Der Splint ist weg, das Rigg instabil, Mast und damit Schiff und Mann gefährdet. Windstärke 4.
Was nun. Meike soll unter Deck einen Ersatzsplint suchen. Nur wo. Sie zeigt mir einen Vogel. Zu Recht. Eine X-Yacht kommt längsseits. „Segel runter, Motor an und in den Hafen von Minde!“
Wir bergen die Fock, lassen das Groß stehen, um uns von der Schwiegermutter freizuhalten. Wollen den Außenborder starten, um auch das Groß runternehmen und das Rigg entlasten zu können. Allein unser Wille zählt nicht. Der Außenborder springt unter keiner der drei Damen an Bord an. Die X kommt wieder längsseits. Am Ende hängen wir bei ihr im Schlepp und gehen in Restfahrt längsseits an den Steg im Hafen von Minde. Die Kehlen trocken.
Samstag in Minde, Dänemark. Hafen geschlossen wegen Pandemie. Vor uns geht eine weitere X längsseits. Das Übergabegeschenk vom Morgen – Flensburgs Johannsen-Rum – wird zur Tauschware. Die jungen Männer dort an Bord kommen mit Ersatzsplint und fachmännischem Auge fürs Rigg herüber, ziehen Wanten und Stage nach, drehen an Kontermuttern und tapen Splinte. Wir füllen ihre Gläser: danke! Es ist Mittag vorbei.
Der Wind hat unterdessen auf Südost gedreht. Kreuzen gen Langballigau? Erst mal den Außenborder in Gang kriegen. Dann – vielleicht. Doch der verweigert sich weiter unseren unwissenden Händen. Wir lesen in Foren, bei Bernd, dem Erklärbären für Außenborder, trinken Kaffee und schmöken. Bis Meike das Bild unserer Bootshalterung findet. Wir hatten zwar die richtigen Hebel bedient, aber offenbar zu wenig Kraft, um Motor samt Halterung auch nur einen Millimeter zu heben oder zu senken. Der Abend vergeht mit Nudeln, Pesto und Bier. Der Morgen soll mit dem Ablegen gen Fehmarn starten. Vorausgesagt ist wenig Wind bei wenig Welle genau auf die Nase.
Der Motor springt an nach schnellem Frühstück. Vergleichsweise mild ist es unter grauem Himmel. Wir motoren aus unserem Havariehafen, vorbei an der Schwiegermutter an Steuerbord und setzen Segel Höhe Brunsnæs. Der Wind ist längst mehr als wenig, und wir kreuzen in der Flensburger Förde. Der Ostwind dreht: von Nordost über Ost auf Südost.
Das Schiff setzt weich ein in die höher werdende Welle. Mit 5 Knoten machen wir zwar gut Fahrt, Fehmarn aber? Für heute unerreichbar. Kurs Sonderburg oder Kurs Gelting. Wir entscheiden uns für Süden. Nach einem langen Schlag gen Hœrup legen wir Gelting an und segeln fast noch auf Halbwind in die Geltinger Bucht. Meike döst unter Deck. Karo und ich wollen die Segel bergen. „Lass‘ mal erst mal den Motor starten.“ Nix. Wir nehmen das Groß runter und Fahrt aus dem Schiff. Nach einer Stunde Gechoke, Gezerre und Gefluche geben wir uns dem Außenborder geschlagen. Wie also am besten unter Segel in den Hafen?
Über den Masten dort zieht ein Gewitter heran. Dumpf wie ein Kanonenschuss das Gedonnere. Der Wind – nun aus Richtung Gelting – schläft vollends ein, lässt dem Regen freien Lauf in Krägen und Stiefel. Wir segeln die Bucht wieder ein Stück hoch. Karo wälzt Hafenbücher. Wollen wir nach Gelting, müssen wir den Tonnenpaaren folgen. Zu flach ist es zu beiden Seiten. Die Rinne zum Kreuzen zu schmal. Die Sonne kommt hervor. Wir trocknen ein wenig. Die nächste Gewitterfront. Whiskey. Er wärmt nun von innen.
Ein wenig nordöstlich Gelting ein weiterer Hafen. Von der Ansteuerungstonne auf raumem Wind an irgendeinen Pfahl und dann weitersehen. Wir legen die Tonne an. Der Wind schläft ein. Meike und Karo paddeln. Mit dem Wind der nächsten Schauer gehen wir unter Fock längsseits an einem Molensteg. Festmachen. Durchatmen.
Wir bauen die Kuchenbude auf über der Plicht. In ihrem Schutz Kaffee und schmöken. Das nasse Ölzeug aus, die nassen Haare trocken gerubbelt. An Land kommen wir dort nicht. Die Querbalken des Steges sind bemoost und glitschig. „Moin! Wollt Ihr da liegen bleiben?! – Nee! Motor geht nich! – Verholt Euch mal an A 78! Und Hafengeld bezahlen! – Klaro!“
Meike und Karo greifen zum Paddel. Der Wind schiebt. Meike belegt den Heckpfahl in Luv, Karo schnappt sich die Sorgleine in Lee. Wir sind fest. Drei-Gänge-Menü vom Ein-Flammen-Kocher. Kerzenschein. Koje. Den eigenen Atem betrachten – Anfang Mai 2021 in Wackerballig.
Montagmorgen. Wismar ist in weite Ferne gerückt. Fehmarn gerade so noch machbar. Weder Karo, Meike noch ich wollen so mit dem Außenborder weiter. Anruf beim Bootsmotorenservice. Und eine SMS an den Voreigner mit der Bitte um Tipps. Dirk bietet an, vorbeizukommen. Von Flensburg nach Wackerballig sind es gute 20 Kilometer.
Doch nach der Lehrstunde zum Außenborder und einem Blick auf die Wettervorhersage steht fest: In Wackerballig ist erst mal Schluss. Ein Sturmtief zieht auf. Noch ein Mal verholen wir uns auf Bitten der Hafenmeisterin, schieben uns an den Heckpfählen von Box zu Box, bis der Motor uns gegen den Seitenwind von den Pfählen frei hält. Einen Ticken zu spät das Ruder umgelegt, dreht sich der Langkieler nur langsam in die Box, verfehlt den Pfahl dank Karos Körpereinsatz aber knapp. Leinen fest. Pinne mittschiffs festlaschen. Adenauer aus dem Wasser fischen und die Halterung ins Hafenbecken plumpsen hören. Meike und Karo kichern. Wie das passiert ist? Wir wissen es nicht. Kaffee und schmöken. Klar Schiff machen.
Nächster Stopp: Wismar. Im warmen Auto nach knapp drei Stunden.
Danke.
Danke an Britta, die uns nach Flensburg gefahren und wenige Kilometer von Flensburg entfernt wieder abgeholt hat.
Danke an Karo, die die Begegnung mit Erika, der Großen, möglich gemacht hat. Und danke für die Unterstützung in allen Lagen an Land und zu Wasser.
Danke an Meike, unsere BootsmotorenIngenieurin und tapfere Mitfriererin.
Danke an Dirk und Ina. Für die Brötchen am Ablegemorgen, den Flensburger Rum. Und vor allem fürs Noch-mal-Vorbeischauen am Montag wegen des Außenborders.
Danke an die Crews der beiden X-Yachten.
Danke an den Jachthafen Wackerballig, in dem Erika nun unterkommen durfte.
Danke allen, die mitgefiebert haben.
Danke an den Kilimandscharo.
Note to myself: Das Prüfungsgefühl war richtig. Schiffsführer zu sein, ist es etwas vollkommen anderes als Mitsegler. Für diese fortwährende Prüfung will ich mit und von Erika lernen. Danke noch mal an Meike und Karo für Eure Nachsicht in so mancher Situation.