Sonntagvormittag. Die Generatoren aus Wismar sind umgeladen in den Lkw von Oleg aus Tschornomorsk. Rauf auf die Fähre, die den Grenzfluss Donau quert gen Ukraine. Ein Reporter steht neben einem Reisebus und macht einen Aufsager. Für die italienische Nachrichtenagentur Ansa, wie ein Aufdruck auf dem Mikrophon verrät.
Noch bevor die Fähre anlegt am anderen Ufer, zwängen sich Grenzpolizisten durch die dicht an dicht stehenden Autos, Busse und Lkw. Vor dem ukrainischen Zoll Stau. „In Kyiv ist Stromausfall. Sie können keine Datenverbindung herstellen und deshalb die Pässe nicht einlesen“, sagt Yulia.
Yulia hat für die Stadtverwaltung in Tschornomorsk gearbeitet, bis ihr Onkel Vasyl Huliaev Bürgermeister wurde. „Das hatte dann irgendwie einen Beigeschmack.“ Nun will sie sich einen Job in Odesa suchen. Hilft Huliaev aber beispielsweise bei Übersetzungen ins Englische oder beim Abholen deutscher Journalisten.
Wir sitzen im Wagen und erzählen. Der Stromausfall sei mit das Schlimmste an diesem Krieg. Ein Krieg, den niemand wirklich erwartet habe in der Ukraine. „Hey – wir sind im 21. Jahrhundert. Krieg? Wer glaubt da an einen solchen Krieg?!“
Ein solcher Krieg. Der mehr als fünf Millionen Ukrainer zu Flüchtenden gemacht hat. Der laut Hochkommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen inzwischen mehr als 7000 Menschen in der Zivilbevölkerung getötet hat, darunter mehr als 430 Kinder.
Ein Krieg, der auch für Dunkelheit sorgt in der Ukraine. „Du planst Deinen Alltag nach den zwei Stunden, in denen Elektrizität da ist. Waschmaschine, Kochen – fast alles eben. Und draußen – draußen ist alles dunkel, einfach nur dunkel. Das kann sich niemand vorstellen, der es nicht erlebt.“
Knapp zwei Stunden später stehen wir noch immer vor dem Häuschen, in dem die Pässe kontrolliert werden. „Kaffee?“ Yulia steigt aus und will welchen besorgen. Kehrt jedoch gleich wieder zurück. Auch für Kaffee brauchen wir einen Pass. Denn den gibt es hinter dem offiziellen Grenzübergang. Unsere Pässe aber liegen noch bei den Grenzbeamten.
Zwischendurch startet Wowa immer mal wieder den Motor für ein paar Minuten. Es wird frisch im Wagen. Handyakkus laden. Aus den Lautsprechern wechselt die Musik zwischen englischem Pop der Cranberrys, französischen Chansons von Joe Dassin und Synthi-Pop von Laskowy Mai.
Draußen im Wind steht ein Mann Ende 50. „Das dauert vielleicht noch zwei weitere Stunden“, sagt er. Aus Odesa sei er, arbeite als Chefingenieur auf der Werft in Tschornomorsk. „Was ist nun!? Wann geht es weiter“, ruft er einer Zöllnerin zu. „Не знаю.“ „Ich weiß es nicht“, antwortet sie.
„Ooooooh!“ Am Pass-Häuschen kommt Bewegung in die Gruppe von Männern. Die Internetverbindung zwischen Kyiv und dem Grenzübergang an der Donau ist wieder hergestellt. Wowa steigt aus dem Wagen, will unsere Dokumente direkt dort abholen.
Fünf Stunden später kommen wir in Tschornomorsk an. Kontrolliert an etlichen Checkpoints von ukrainischen Militärs. Mit Interesse am deutschen Pass. „От куда?“ Woher aus Deutschland, wollen sie wissen. „Из Висмар.“ Aus Wismar.
Vorbei an Dörfern, in denen Fensterscheiben mit Alufolie isoliert sind und die nur von den dortigen Tankstellen erhellt werden. Vorbei an unzähligen Lkw, überholt im Nebel der Schwarzmeerküste. Irgendwann werden die Dörfer größer, die Straßen breiter. Das Dunkel bleibt.
Wowa, der Fahrer vom Bürgermeister aus Tschornomorsk, verpasst fast die Abfahrt in die Stadt. Passanten werden erst unmittelbar vor dem Scheinwerfer sichtbar. Yulia zeigt im Vorbeifahren auf den Tennisclub, das Rathaus, den Strand.
Die Augen erblicken nichts als stockfinstere Nacht. „Ach, und bitte denke daran: Von 23 bis 5 Uhr ist es verboten, draußen zu sein.“ Ausgangssperre in Zeiten des Krieges. Willkommen in der Ukraine. Willkommen in Tschornomorsk.