Müde und genervt nach elf Monaten Kriegsalltag


„No light – no coffee“, heißt es bei der Rückkehr ins Hotel am Montagmorgen. Zu sieben Uhr waren wir mit Vasyl Huliaev verabredet am Strand von Tschornomorsk.

Seegras hat sich dort breit gemacht, seitdem niemand mehr unterhalb der steinernen Promenade flanieren darf. Seit dem 24. Februar 2022. Seitdem Russland die Ukraine angegriffen hat und die Gefahr besteht, dass die von den Russen gelegten Seeminen an Land gespült werden und explodieren. 

Dort, erzählt Yulia, die uns an diesem Morgen begleitet, hätten die russischen Kriegsschiffe gelegen. „Wir konnten sie sehen. Und niemand wusste, ob sie uns angreifen.“ Mitte April hatte die Ukraine dann unter anderem den Kreuzer „Moskwa“ mit zwei Raketen getroffen und die russische Flotte vor der Küste in Tschornomorsk zunächst vertrieben. 

Der Krieg aber ist dort lebendig. Sandsäcke liegen auf der Treppe zum wohl meist fotografierten Aussichtspunkt von Tschornomorsk. Anders als in Wismar sollen sie dort nicht vor Hochwasser schützen, sondern vor feindlichem Beschuss. 

Panzersperren und Stacheldraht liegen im Sand. Es verboten, das zu fotografieren. So wie alle anderen militärischen Einrichtungen auch. Das Einberufungsbüro der ukrainischen Armee im Zentrum der Stadt beispielsweise. 

Volodymyr Selensky hat unterdessen die nächste Welle der Mobilisierung angekündigt. Huliaevs Assistent scrollt auf dem Handydisplay. Männer zwischen 27 und 60 Jahren werden einberufen. „Sie gehen durch die Stadt und nehmen die Männer mit“, sagt Yulia. 

Auf den Straßen in Tschornomorsk bleiben die Frauen zurück. Die Mütter, die Großmütter und deren Männer. Die Frau Anfang 50 mit den rot geweinten Augen, die Frau Anfang 20, die noch kämpft mit den Tränen. 

Schwer gehen die Menschen über den „проспект мир“, die Straße des Friedens, die Hauptstraße ist in der Stadt am Schwarzen Meer. Müde von der Ungewissheit des Morgen. Müde von der Angst vor russischen Raketen. „Укриття“ – Schutzbunker. Neben fast jedem Hausaufgang aufgemalt mit roter Farbe. 

„Wir leben zwar unseren Alltag. Ohne Strom. Ohne Heizung. Aber nicht zu wissen, was noch kommt, zermürbt die Menschen“, sagt Yulia. Tschornomorsk blieb bislang ohne Raketeneinschlag.