Sie spreizen die Finger zum VictoryZeichen unter dem kühlenden Sandsteingewölbe eines Restaurants etwa eine Autostunde entfernt von Beirut. Sie sind jung, sie sind alt. Männer, Frauen, die Jüngeren auffallend zu Recht gemacht, schieben sich zusammen für ein Foto. In ihrer Mitte eine Frau, deren Alter man erfragen muss, so schwer ist es zu schätzen. Ein ebenmäßig geschminktes Gesicht unter langen, braunen Haaren. Müde Augen, die verraten, was hinter jenen liegt, die an diesem Nachmittag vor Kaffee und Shisha sitzen.
Sie haben gekämpft. Bei der Parlamentswahl Anfang Mai. Um jede Stimme. Um die der Sunniten, die der Schiiten, die der Drusen, die der Christen. Die Frauen und Männer der Partei “Sabaa”. Sabaa ist das arabische Wort für sieben, erklärt Mahmoud. Was Sabaa will, sei einfach: Welcher Religion wer angehöre, sei egal. Dann spreizt Mahmoud die Finger zum SabaaZeichen. Das nächste Foto will gemacht sein.
Sie haben verloren. Wahlurnenweise. Mahmoud zeigt ein Video auf seinem Smartphone. Männer in Zivil tragen weiße Plastikboxen aus dem Wahllokal zu privaten Autos. Ein Beweis für Wahlfälschung? Auf einem Foto liegen weiße Säcke achtlos auf einem Balkon. “Our votes! These are our votes! Look, what they did with them!” Dann filmt jemand, wie ein Mann und Frau unter einem Baum am Straßenrand die weißen Boxen öffnen und in den Zetteln wühlen. Ein Soldat steht daneben. Das Gewehr vor dem Bauch. “And we’ve got a paper!”, fährt Mahmoud fort. Ein Dokument der libanesischen Botschaft in Deutschland, das besage, sie hätten elf weiße Plastikboxen nach Beirut geschickt – mit den Stimmen der in Deutschland lebenden Libanesen. Die Boxen – sie seien leer gewesen, als sie ankamen in der libanesischen Hauptstadt.
Der amtierende Präsident habe nichts unversucht gelassen, um die Wahl zu beeinflussen. Wieder zeigt Mahmoud ein Video. Ein Mann verteilt vor einem Wahllokal 100-Dollar-Scheine. Die US-amerikanische Währung ist im Libanon geltendes Zahlungsmittel. “Take the money and vote Hariri – that’s what the man says!” Angst habe Hariri vor Sabaa. Angst, wiederholt Mahmoud. Mit ihren mehr als 180 000 Mitgliedern landesweit habe die Sabaa selbst der Hezbollah Stimmen abgejagt. Organisiert bis in den letzten Winkel der libanesischen Berge, hat die Parteibasis um Wähler geworben. Hariri verlor am Ende doch an Stimmen. Die Präsidentschaft aber nicht.
Zwei Sitze hat die Sabaa nun trotzdem im neuen Parlament. Mahmoud und die anderen im Restaurant sind überzeugt: Es wären mehr. Ohne die Männer in Zivil, die Wühler in den Boxen und ohne die verschwundene Stimmen aus Berlin. “We have to work now for the next four years – to get stronger”, übersetzt Mahmoud den Assistenten jener Frau, die ihrem Alter davongelaufen zu sein scheint. Als TV-Moderatorin prangere sie seit Jahrzehnten die Korruption an im Libanon. Sogar ins Gefängnis sei sie dafür schon gesteckt worden.
Die Bewunderung für diese Frau ist groß. Und sie gibt ihren Unterstützern Mut. Drohungen habe es gegeben am Telefon. Wer nicht Hariri wähle, der verliere seinen Job. Noch vergleichsweise harmlos nennt Mahmoud das. “If they could have killed the former president, why they couldn’t kill us?”, sagt Mahmoud und zieht die Augenbrauen hoch. “I would die for Sabaa.”