Vom Winde verschmäht

Grundsätzliches

Die Zeit geht anders auf See. Kaum lässt sich schneller sagen oder langsamer. Sie geht anders. Wachen und schlafen gehören nicht dem Tag, der Nacht. Wachen und Schlafen gehören dem Schiff.

So ordnet sich alles dem unter, Sandine sicher durch den Atlantik zu steuern. Gegen jeden Hunger, jeden Durst, jede Müdigkeit. (Mit aller Ernsthaftigkeit.) 

Ablegen

Das Delta des Paraiba liegt vor uns, die Marina von Jacaré ist schon nicht mehr auszumachen zwischen den Mangroven. TockTockTockBrrrr – Stille. Der Motor fällt aus. Sandine setzt Segel. 1625 Seemeilen liegen vor ihr. Die Crew indes liegt an Deck. Hängt mehr. Ein Teil über der Reling. Fische füttern. Mit Müsli und Sandwich, die kurz zuvor noch Mahlzeit waren. Auch mir wird schlecht. Vom Geräusch würgender Mitsegler. Micha bezahlt seinen fast zwölfmonatigen Landgang am teuersten. Fast drei Tage lähmt ihn die Seekrankheit. Ohne ihn jedoch davon abzubringen, dem Schiff zu gehören. Das Grundsätzliche eben. 

Hungrige Segel und durstige Kehlen

Der Wind träumt über Tag. Ungewöhnlich. Wir sind mit dem Passat unterwegs. Doch mehr als fünf Knoten schaffen wir nicht. Das Großsegel bleibt im Mast. Zu umtriebig ist der Wind, als dass er uns unter einem Schmetterling voranbringt. Der Atlantik ist Mittelmeer. Kurz die Welle. Allein die Wärme unterscheidet diese Tage von jenen im Februar 2015 zwischen Griechenland und Italien. 

Micha lässt den blauen Ozean sein T-Shirt waschen. An der Leine im Kielwasser sieht es aus wie eine Goldmakrele. Auf der anderen Seite am Heck zieht eine Angel einen Thunfischköder durchs Wasser. Die Aussicht auf Tuna bringt Franco ins Schwärmen. Nach ein paar Stunden fehlen T-Shirt und Köder. Nichts zum Anziehen und nichts zum Essen. 
Jedenfalls keinen Thunfisch. Das, was Florence und Franco Abend für Abend aus scheppernden Töpfen auftischen, ist hingegen deliziös. Die weichen, saftigen Mangos, süße Ananas, herbe Maracuja. Steaks un point. So geht das vier Tage. Dann müssen die Dosen ran. Die Pasta und der Reis. Pasta mit Thunfisch in Öl. Reis mit Thunfisch in Tomatensauce. Pasta mit Thunfisch in Tomatensauce. Reis mit Thunfisch in Öl. Müsli mit Kondensmilch. Die Milch ist alle. Pasta mit Zucker zum Frühstück. Das Müsli ist alle. Karamellbonbons als kleine EnergieHappen zwischendurch. Ich verzichte. Zu süß. Zu viel Durst danach. Jedem bleiben noch fünf Liter Wasser – für fünf Tage. 
Dazu eine Sonne, die uns unter die Bimini treibt. Uns schwitzen lässt nur beim Sitzen – trotz des Windes. Auch der warm. Wenn Regen aufkommt – plötzlich und mit einer solchen Wucht, dass die Wellen nur noch kleine Kräusel sind, – fühlt es sich an wie unter einer warmen Dusche. Zeit, die leeren 5-Liter-Flaschen unter das Rinnsal zu halten, das vom Segeltuch läuft. Fast drei Liter sind es am Ende. Wasser aus dem Himmel. Seichter als jedes, das zum Verkosten von Whiskey gereicht wird.

Da issa

Irgendwann kommt er dann. Der Passat. Konstant gut fünfzehn Knoten. Es geht auf Mittag zu. Die Ampere aus den Solarpanels wollen nicht mehr in die Batterie. Der nächste Sparstatus wird ausgerufen. Der Autopilot übernimmt von nun an nur noch in Notfällen. Das Steuerrad in meinen Händen hält Sandine auf Kurs. Von den Füßen bis in den Nacken spürt der Körper den Zug in den 66 Quadratmetern Genua.

Am Abend dann Freiwache an Deck. Über mir mehr Stern statt Himmel. Die Venus mit einem Schweif an Backbord. Das lange Auf und Ab der Passatwelle im Heck auf dem Schweif des fast vollen Mondes. Die nackten Beine über der Cockpitbank, die Unterarme aufgelehnt auf der Seereling, wird Sandine zur Babywiege. Rollt das Wasser heran, hebt und senkt Heck und Bug in sanftem Rhythmus. Auuuuuuuuuuuuf-aaaaaaaaaaaaab-auuuuuuuuuuuuf-aaaaaaaaaaaaab. Wie Atemübungen beim Yoga.
Die Welle, die dann über die Bordwand ins Cockpit geht des nachts – sie ist so unerwartet wie ein Gruß aus der Küche. Franco und ich sind hellwach und nass. Knöcheltief steht der Atlantik für einen Moment zu unseren Füßen. Und bevor das Wasser zum Heck hinausschwappt, findet es durch das kleine Fenster unter der Cockpitbank seinen Weg in meine Koje. 
Zweieinhalb Tage bleibt er – der Passat. Zweieinhalb Tage Ritt auf langen Wellen. Ein Grinsen auf dem Gesicht. Zweieinhalb Tage lang. Dann wieder Mittelmeer. Und wie auch dort geht der Mond auf auf dem Atlantik. Steigt herauf in strahlendem Rot. Eine Mondgeburt.

Sonstiges

Wir sitzen im Cockpit. Das Hin und Her zwischen den Sprachen ist anstrengend mitunter. Vor allem, wenn es selten nur verstummt. Nur eines macht Franco Schweigen: ein Zug an seiner Zigarette.

Abschied

Die Stunden in der Koje beginnen in Rückenlage. Die Arme ausgestreckt über dem Kopf. Mit jeder Welle lockern sich um die Wirbelsäule die Muskeln im Rumpf. Werden sie sanft hin- und hergeschoben. Das wird das erste sein, das ich vermisse – nach zwölf Tagen auf See an einer Mooring im Fluss vor St. Laurent du Maroni in FranzösischGuyana. 

 

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