Kinder von Kleinliebental vertrauen im Krieg auf die Motanka-Puppe

Früher waren die Keller in Kleinliebental unterirdisch miteinander verbunden. Früher, als deutsche Siedler dort die ersten Häuser bauten. Eingeladen von Katharina, der Großen, in der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Die Verbindung zwischen den Kellern der Schmidts, Underbergs und Schlecks ist inzwischen längst gekappt; die heutigen Bewohner aber finden in den Räumen Schutz vor russischen Raketen. 

Artëm Knysh ist Verwaltungschef des kleinen Dorfes, das inzwischen zu Tschornomorsk gehört. Eingesetzt vom dortigen Bürgermeister Vasyl Huliaev, versucht er seit gut zwei Jahren, die Entwicklung der ehemaligen Kolonie voranzutreiben. Ließ die Straßen erneuern, Laternen installieren. Auch wenn die derzeit dunkel bleiben. 

Dort, wo einst Schlamm abgebaut und zu Heilzwecken eingesetzt wurde, soll ein Park entstehen, mit Barbecue-Platz und Fußballfeld, mit Bänken und Spielplätzen. „Сейчас не возможно.“ Zur Zeit unmöglich. 

„Zur Zeit“ ist eines von vielen Synonymen für Krieg. Für Stillstand. Dafür, dass Menschen wie Artëm Knysh oder Vasyl Huliaev nur damit beschäftigt sind, Strom, Wärme, Sicherheit zu gewährleisten. Während Russland die Energieinfrastruktur und das Leben der Ukrainer zerbombt. 

Nach Kleinliebental habe die Zarin die Deutschen geholt, weil sie so fleißig gewesen seien. So akkurat, erzählt Artëm. „Noch heute besuchen uns Deutsche auf der Suche nach ihren Vorfahren.“

Im Kulturhaus in Kleinliebental basteln Mädchen an ihrer eigenen Sicherheit. Aus Wollfäden entstehen kleine Puppen. Einst von den Frauen in der Ukraine aus trockenem Gras gefertigt, sind sie nicht nur Spielzeug; sie sollen Kinder auch vor bösen Mächten beschützen. 

Sofias Puppe mit roten Beeren im schwarzen Haar soll die Schwester beschützen. Sie ist an der Front. „Das sind viele aus Tschornormorsk“, sagt Artëm, als wir die schmalen Straßen durch Kleinliebental fahren. „Und wir alle werden – jeder auf seine Art – die Ukraine verteidigen.“

Er zeigt auf ein Haus rechts von uns. „Der Mann, dem dieses Haus gehört, ist in Bahmut. Wissen Sie, wo das ist?“ Ich nicke. Eine kleine Stadt im Osten der Ukraine. Seit Wochen umkämpft. Satellitenaufnahmen zufolge so gut wie dem Erdboden gleich gemacht. 

„Dabei hat man uns auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion noch eingebläut, dass der Feind im Westen sitzt. Dabei ist er direkt nebenan.“ Artëm schüttelt den Kopf. 

„Für die Kinder ist es am schlimmsten. Stundenlang hocken sie bei Luftalarm im Keller“, sagt Olena Loboda, in der Stadtverwaltung von Tschornormorsk verantwortlich für innere Angelegenheiten. „Und sie lernen, zu hassen.“ Denn zuhause in Kleinliebental in der Ukraine hat Russlands Krieg vielleicht schon wieder einen von ihnen getötet. 


Seo: Kleinliebental will nicht aufgeben 
Google: In der ehemaligen deutschen Kolonie in Tschornomorsk schützen unterkellerte Häuser heute die Ukrainer.