Die Männer senken den Blick. Den der Frauen fängt niemand ein. Eastend.
Autor: Nicole Buchmann
Ein Amoklauf und ein Schämen
Da schießt einer kleiner Kinder tot. Und meine Kollegen erledigen den Rest. Ich schäme mich. Und danke den mutigen Denkern:
Anlass dieses Posts war ein Tweet von @fiene.
Von den Spielchen des Herrn Pastörs
Eine Frau im leichten Sommerkleid. Ein Mann mit weißem Haarkranz und in Lederhose. Sie stehen mit zwei Dutzend anderer Leute auf der Freitreppe des Gerichtsgebäudes am Schweriner Demmlerplatz. In einer Stunde soll der Prozess gegen Udo Pastörs beginnen. Die Staatsanwaltschaft hat ihn angeklagt. Wegen Verleumdung und Verunglimpfung Verstorbener.
Ende Januar 2010 stand der Fraktionsvorsitzende der NPD im Landtag Mecklenburg-Vorpommerns am Rednerpult. Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus’ nahm er zum Anlass, den Abgeordneten zu erklären, wie er das sehe.
Brav gescheitelt
Pastörs sprach von “Schuldkult” und von “Betroffenheitstheater”. Und sagte einiges mehr, das hier dokumentiert ist. Die Fraktion der Linken stellte daraufhin Strafanzeige. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage beim zuständigen Amtsgericht. Das wiederum ließ die Anklage zu. Und nun wird verhandelt.
Doch in Saal 7 ist zu wenig Platz. Das rügt dann auch Verteidiger Michael Andrejewski (NPD). Nur ein kleiner Teil der Anhänger sitzt deshalb nach dem Gang durch die Sicherheitsschleuse auf den schwarzen Stühlen in Reihe quer zu Anklagebank und Staatsanwaltschaft. Der Mann in Lederhose und die Frau im Sommerkleid auch. Zwischen ihnen ein etwa elfjähriger Junge. Braver Scheitel. Sauberer Fasson.
Einer für die Seinen
Die anderen müssen draußen bleiben. Doch sie werden warten. Pastörs hat ihnen versprochen, dass sie nichts verpassen werden.
Und so geht er denn in den Verhandlungspausen, in denen das Gericht darüber entscheidet, ob dem Antrag der Verteidigung auf Vertagung der Verhandlung stattgegeben wird, hinaus auf den Flur zu den Seinen und erklärt, dass der Staatsanwalt eben jenen diesen Antrag bereits abgelehnt habe. Dass es den nicht einmal interessiere und der einfach so weiter mache.
Nun soll sie ihn schützen – die Demokratie
Dann warnt der Juwelier und Uhrmacher vor den Medien. Auch die sind zuhauf erschienen. Sie seien alle nicht objektiv. Pastors zeigt mit dem Finger auf eine Frau. Die sei auch von den Medien. “Richtige Schmierfinken sind darunter.” Das sei bei ihm Zuhause auch so, sagt der Mann in Lederhose auf Bayerisch. Wo er denn genau Zuhause sei, will die Reporterin wissen. Ein geringschätziges Lächeln und Schweigen sind die Antwort.
Später wird er eine Erklärung verlesen. Darin beruft er sich auf seinen Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung durch die Immunität des Deutschen Bundestages. Er gehöre schließlich noch immer der 15. Bundesversammlung an. Die Wahl Joachim Gaucks zum Bundespräsidenten – die sei wegen schwerwiegender Fehler ungültig. Pastörs klagt deshalb derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht.
Der Prozess wird am ersten Verhandlungstag nur knapp eine Stunde dauern. Und draußen haben sich die Seinen vermehrt. Und das “Spielchen” der Justiz, die in Gestalt des Staatsanwaltes den billigen Versuch unternehme, die Arbeit der Politik zu erledigen, ist vorerst auch vorbei. Zum Glück.
Die Mutter aller Neugier
In den vergangenen Tagen ist wieder viel geschrieben worden. Darüber, was Journalismus ausmacht. Darüber, was Journalisten ausmacht.
Keine Frage: Es sind der Biss, die Genauigkeit, das Wählen der Worte, der Bilder, der Töne. Es sind die Fähigkeiten, Themen zu erschließen und Geschichten zu erkennen, und mehr noch als zu Zeiten unserer Vorfahren: sich zu verkaufen. Was fehlt in der obigen Aufzählung, sind Mut und Neugier.
Nun kann man sich darüber streiten, ob es mutig ist, in 100 Metern Höhe auf der Gondel eines Windrades zu hocken, um über die Weite der Landschaft zu träumen. Oder in einer Kleinstadt ohne Ansehen des Bürgermeisters über Kommunalpolitik zu berichten. Alles kein Vergleich zu jenen, die ihr Leben riskieren. Kein Vergleich zu jenen, die Politkowskaja heißen oder Byron Baldón.
Mut also ist nicht gleich Mut. Manchmal ist er auch Notwendigkeit, um Journalist zu sein.
Ich schätze mich glücklich, meinen Mut anders unter Beweis stellen zu dürfen. Einen Mut, der es mir leicht macht, meine Neugier walten zu lassen.
Eine Neugier, die mir nun etwas vors Haus gespült hat, das meinen Mut jedenfalls auch erfordert. Pirat. Segelboot. Mit Ausreitgurten.
Warum wir sind, was wir sind
Wer Dir zeigte, wie Du die Wiener in den Mund schieben kannst.
Du weißt es nicht.
Woher das Grün kommt in Deinen Augen.
Du weißt es nicht.
Wer Dir ein Schlaflied sang.
Du weißt es nicht.
Jette ist zwei, als sich das Leben ihrer Mutter ändert. Als der ging, der es gewesen sein könnte. Das mit der Wiener, dem Grün und dem Schlaflied. Er ging oder er wurde gegangen. Sie weiß es nicht. Der eine sagt so. Der andere so.
Des einen Ende, des anderen Anfang
Klaus Zeisler ist Mitte 50, als er liest, was von wem gesagt wurde. Als er erfährt, warum sich sein Leben von einem auf den anderen Tag geändert hat. Dieser Tag begann mit Sonne und wurde sein Ende.
Ein Ende, das anderen ein Anfang war. Weil sie über Dinge sprachen, die sie nichts angingen. Oder sie so sehr angingen, dass sie sie besser für sich behalten hätten. Worte, die Freunde tauschen oder Liebende. Und nun: fließen Tränen. Tränen der Reue.
Ein Brief, der schweigt
IM “Thomas” weint. Und sieht man sie dabei zum ersten Mal, kommen einem die Tränen selbst. Beim zweiten Mal hört man ihr zu. Und die Wut erstickt die Tränen.
Jette wischt sich den Rotz von der Nase. Gut 30 Jahre danach. Holt aus der Familienkommode das Familienalbum. Den Brief an die Eltern, den er schrieb, als er ging. Oder gegangen wurde. Sie weiß es ja nicht.
Und das Schweigen ist groß. Größer geworden, nachdem die Eltern, die den Brief noch im Kuvert aufbewahrten, auch gegangen sind. Zwei Grabsteine zeugen davon.
Wessen Tränen weinen wir
Auf einem weiteren steht: Norbert Vogel. Um den weint IM “Thomas”. Aber ihre Tränen kann er nicht mehr sehen. Vielleicht gehören sie nur ihr. Vielleicht sind es nur Tränen für sie selbst. Weil Angst und Schuldgefühle auch dazu rühren.
Woran erkennt man, wem die Tränen des anderen gehören. Woran erkannte Dieter Hempel, wer zu wem gehörte. Er fährt sich mit den langen Fingern durch das volle, dunkle Haar. Verbirgt seine Tränen in der Handfläche. Nur ein Schluchzen sickert zwischen den Fingern hindurch. 35 Jahre, nachdem sie ihn zu einer Unterschrift zwangen.
Sie finden, wen sie suchen
Unterschrieben ist der Brief an die Eltern auch. “Es grüßt Euch Euer Sohn … ” Er ist fünf Mal gefaltet. Er trägt keinen Datumsstempel, das Kuvert keine Marke. Er hat ihn selbst in den Briefkasten gesteckt. Damit sie ihn nicht finden.
Die, die IM “Thomas” und Dieter Hempel fanden. Die, die Klaus Zeislers Leben von der Sonne zum Ende führten. Sie versuchten, die Wurzeln zu kappen. Und oft genug gelang es ihnen auch. Der “Thomas”, der Hempel und der Zeisler – sie wissen nun, warum. Sie haben ihre Akten gelesen. In einer Außenstelle des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Haben ihre Leben in Berichten des Ministeriums für Staatssicherheit gefunden. Jette, sie sucht noch.
RadioFilmDossier
Fünf Jahre hat ein Journalist des NDR in diesen und vielen weiteren Akten gewühlt. Aus den geschwärzten Worten, aus den geschwärzten Bildern Menschen gemacht. Menschen, die die meisten 20 Jahre nach der Wende nicht sein wollen. Aber sie sind es.
“Als aus Sportlern Spitzel wurden” läuft am 6. Mai im Capitol in Schwerin anlässlich des 22. Filmkunstfestes. Ein OnlineDossier begleitet die NDR Dokumentation über “Das Stasi-Erbe des SC Neubrandenburg”. Und das RadioFeature gibt es zum Nachhören in einzelnen Episoden.