Ein Schiff, drei Mädels und ein Hafen mit W, Teil II. Oder: Wie wir versuchten, Klaus-Herbert zum Crewmitglied zu machen

Wackerballig. Freitag vor Pfingsten. Kurz nach 8 Uhr am Morgen reißen wir den
Außenborder an. Ungläubiges Staunen. Er läuft. Manövrieren uns aus der Box,
verlassen den kleinen Hafen nördlich Gelting, der Erika in den vergangenen Wochen
ein Zuhause war. Ein Stündchen nordwärts auf achterlichem Wind. Dann Fehmarn
anlegen. Festmachen nach 12 Stunden bei der Schaich-Werft. So der Plan.

Wir passieren den Leuchtturm Kalkgrund, ostwärts von nun an in leiser
Rauschefahrt. Die Kapuzen über den Ohren. Die Schultern hochgezogen. Wer kann,
sucht Schutz hinter der Sprayhood. Es ist frisch Ende Mai auf der Ostsee. Südwind.
Wie vorhergesagt. Tatsächlich.

Dann dreht der Wind auf Südost. Die Wanten in Lee schlackern. „Karo? – Ja. Sehe
ich auch.“ Karo übernimmt die Pinne. An den Wanten ist alles fest. Splinte und
Bolzen sind da, wo sie hingehören. Dennoch: Wir schreiben eine sms an Dirk,
den Voreigner. Muss so. Is gut so. Weiter geht‘s.

Wir testen das Bordklo, wahlweise die Pütz. Ausziehen mag sich eigentlich
niemand. Die Sonne wärmt nur minutenlang. Bewölkt ist der Himmel, der Wind kalt.
Auch wenn er nachlässt. Bagenkop in Dänemark liegt an Backbord voraus. Dorthin?
Nach Kiel kreuzen? Oder weiter gen Fehmarn? Nach einem Blick auf die Karte und
kurzem Austausch halten wir den Kurs gen Insel.

Nur langsam nähern wir uns dem Kiel-Ostsee-Weg. Die Wolken werden dichter von
Süden her. Die Küstenlinie Schleswig-Holsteins: ein einziges Schwarz.
Donnergrollen. Blitze. Löst sich der Spaß da unten noch auf oder zieht das in seiner
gesamten Mächtigkeit über die See nach Dänemark?
Zwanzig Minuten etwa beobachten wir. Dann nehmen wir das Groß runter. Und sind
die nächsten 40 Minuten still im Angesicht dessen, was da näher und näher kommt.
Foto machen? Nee. Fordern wir das Wetter besser nicht heraus. „Mädels. Wir haben
nur noch die Fock. Wir versuchen, den Kurs zu halten. Wird uns das zu bunt, laufen
wir vor der Front ab.“ Freien Seeraum haben wir zu genüge.

An Steuerbord knallen die Blitze wie Peitschenhiebe aufs Wasser. In den Wolken
ein Poltern, tief wie der tiefste Bass. „Mädels. Es geht los.“

Mit sechs, mitunter sieben Knoten pfeifen wir unter Fock bei erstaunlich
gleichmäßigem Wind Stärke sieben durch den Wasserdunst. Ja. Müsste nicht sein,
so eine Gewitterfront von Kilometern Länge. Andererseits kommen wir voran. Denn
Fehmarn ist noch weit.

„Ein Frachter an Steuerbord!“ Karo entdeckt ihn als erste. Kann das schon der Kiel-
Ostsee-Weg sein?! Unwahrscheinlich. Das Schiff der Colorline aber dürfte uns bei
dem Wetter nicht gesehen haben. Wir fallen ab und gehen hinter dessen Heck
durch. Vom Kragen läuft der Regen den Rücken hinunter.

Eine gute Dreiviertelstunde schießen wir so über die Ostsee. Bis der Wind nachlässt
und dreht, als sei ihm schwindlig vom Tanz über der See.

Trocken sind wir noch nicht, als die nächste Schauerfront aufzieht. Egal. Mit dem
Regen kommt der Wind, sind wir uns einig. So langsam sitzt uns der herannahende
Abend im Genick. Den Kiel-Ostsee-Weg passieren wir mit dem Regenwind recht
flott. Zwei Frachter nur sind da am Pfingstfreitag unterwegs.

„Fehmarnsundbrücke! Ich sehe die Fehmarnsundbrücke! Yeeeeeeeheeeeees!“ Er
befreit, dieser Schrei. Wir kämpfen uns an Flüggesand heran. Der Wind hat deutlich
abgenommen. Gedreht fast auf SüdsüdOst. Wir versuchen, den Außenborder zu
starten. Ein Mal. Vier Mal. Zwölf Mal. …

Dann wirft der Leuchtturm Flüggesand das erste Licht des Abends auf die See. Die
Dünung steht noch. Der Wind ist gegangen. Wir schaukeln zurück gen Kiel-Ostsee-
Weg. Mitten im Warngebiet Todenhof. Schießzeiten freitags: 9 bis 12.30 Uhr.

„Ich spendiere eine Runde DGzRS.“ Nahezu gelassen spricht Meike diese großen
Worte. Wir hadern noch. Ein Seenotfall sind wir nun vielleicht nicht gerade. Wir
überlegen: Genau das werden wir den Männern sagen. Karo hat die Nummer. Und
niemand von uns Handynetz.

Irgendwann schildern wir der Zentrale unsere Situation. Es ist kurz vor 22 Uhr. Die
Retter sollen aus Heiligenhafen kommen. Wir geben unsere Koordinaten durch.
Eine halbe Stunde später leuchtet neben Flüggesand ein Suchscheinwerfer. Wir
atmen durch. Null Fahrt im Schiff. Noch immer treibend gen Kiel-Ostsee-Weg.
Frachter in Sicht. Wir leuchten die Segel an mit Stirnlampe und Taschenlampe. Die
Retter drehen ab.

Die Zentrale ruft an. Sie finden uns nicht.

Eine halbe Stunde vor Mitternacht ist das Schleppseil auf der Bugklampe belegt.
Eisig ist es mittlerweile. Der Wind dreht weiter östlich und auf. Aus dem
Fehmarnsund schlagen uns die Wellen entgegen. Jede zweite eine Dusche. Mit
sechs Knoten geht es im Schlepp voran. Karo schreibt unterdessen unter Deck mit
den Rettern. Dann geht das Schiebeluk auf. „Noch anderthalb Stunden bis
Heiligenhafen.“

Nein. Nein, denke ich. Ich will nicht mehr. Ich kann nicht mehr.

Beides keine Alternative. Also weiter. Der letzte heiße Tee ist alle. Whiskey. Der
Flachmann, der dank Britta bereits in Flensburg an Bord gekommen war. Ich würge
ein Schlückchen davon hinunter. Irgendwas ist danach anders. Besser.
Halb zwei Uhr morgens bugsieren uns die Retter in eine freie Box. Kommen an
Bord. Helfen bei den Leinen. Geben uns den Code für die Sanitäranlagen im
Yachtclub Heiligenhafen. Wir sammeln alles Bargeld zusammen. Danken. Danken.
Danken.

Viele Worte machen wir nicht mehr bei Bier und Zigarette im Cockpit. Der Tag
kommt auf, und wir fallen in die Koje. Samstagmorgen 03:28 Uhr.

Die Sonne weckt. Südwind drehend, Stärke sechs, in Böen mehr. Hafentag. Ölzeug,
Unterwäsche, Seestiefel – alles raus zum Trocknen. Karo holt Brötchen, macht
Rührei.

Irgendwann dann die Frage nach dem was nun. Wir legen die Antwort noch
beiseite. Erst einmal sortieren. Gedanken. Gefühle.

Wir machen Heiligenhafen unsicher. Landen bei einem Italiener auf der Terrasse.
Lachen. Erzählen. Knöpfen uns Klaus-Herbert vor. Wir haben nicht lange gebraucht,
um unserem Außenborder einen Namen zu geben bei Pizza und Bier. Jenem
Außenborder, den wir im Hafen ankriegen, auf See nicht. Und dann kriegen wir ihn
auf See auch kaum mehr raus aus der See. Im Sitzen. Mit den Beinen außenbords
und den Füßen in der Welle. Ein Problem, das wir in Heiligenhafen nicht lösen
können werden. Also: Bleiben oder am nächsten Tag nach Wismar. Dort könnten wir
unter Segel anlegen. Dort könnten wir anrufen. Nils. Jelke. Michael.

Wackerballig-Heiligenhafen hat Kraft gekostet. Klaus-Herbert anzureißen, gelingt
nicht am Sonntagvormittag. Freundlich blickende Männer vor dem Clubgebäude,
ein kurzer Wortwechsel, Klaus-Herbert läuft.

Wind in Stärke 5/6 treibt uns aus der Box. Klaus-Herbert muckt. Karo und Meike
halten uns klar. Wir gehen zurück in die Box. „Mit diesem Motor fahre ich nirgendwo
mehr hin. Ich bin raus.“ Meike sagt diesen Satz. Dann erst mal Schweigen. Wir sind
durch. Alle drei. Meike geht an Land.

Wir suchen derweil die Nummer vom Hafenmeister. Brauchen eine andere freie Box
für die nächsten Wochen. Überlegen, wie wir von Heiligenhafen nach Wismar
kommen. Die Autos stehen in Wackerballig. „Ich habe eine Entscheidung getroffen.
Ich gebe mein Leben in Eure Hände und übernehme keine Verantwortung für
nichts.“ Meike ruft das vom Steg. Ok. Dann los jetzt. Es ist kurz nach halb zwölf.

Klaus-Herbert lässt sich von uns starten, sauber raus aus der Box, Fock setzen.
Draußen knallt der Südwest über den Fehrmarnsund. Anderthalb Meter Welle.
Erika, die Große, schießt mit sechs, sieben Knoten durch die Fahrrinne, der
Fehmarnsundbrücke entgegen. Sonnenschein. Läuft.

Querab von Großenbrode legen wir den Kurs dichter unter Land. Weniger Welle.
Und ein Streifen Sonne. Merklich kühler ist es geworden. Und Meile um Meile
weniger Wind. Groß hoch. Vier, fünf Knoten sind nun wieder drin. Vor der Lübecker
Bucht Leichtwind statt Düse.

Klaus-Herbert hat unterdessen den Kopf hängen lassen. Ihn nach unten
anzureißen: unmöglich. Regen in Sicht. Wind in den Segeln. Die Hochhäuser von
Burg auf Fehmarn werden kleiner. „Die Egger-Schornsteine! Ich sehe die Egger-
Schornsteine!“ Karo schimpft. „Nichts da! Du siehst gar nichts! Als Du das letzte
Mal was gesehen hast, war das die Fehmarnsundbrücke!“ Wir lachen. Und sehen
nichts mehr.

Vom Klützer Winkel zieht eine Schauerfront auf. Gut. Denn wir brauchen den Wind.
Mit sieben Knoten geht es durch Offen-Tief. Ein Tonnenpaar, das uns den Weg weist
in die Wismarbucht. Vorbei an Untiefen. Jetzt erlauben wir uns, zu sehen. Egger-
Schornsteine. Werftkran. St. Marien. Walfisch. Seebrücke Wendorf. Schwedenkopf.
Hafenspeicher. Menschen. Groß runter auf der Wendeplatte. Unter Fock sanft
hinein ins Hafenbecken. 14 Meter vor dem Steg holen Meike und Karo die Paddel
raus und geben uns die letzte nötige Fahrt. Wismar? Wismar.

3 thoughts on “Ein Schiff, drei Mädels und ein Hafen mit W, Teil II. Oder: Wie wir versuchten, Klaus-Herbert zum Crewmitglied zu machen

  1. Tolle Fortsetzung , es würde gut tun die Protagonisten etwas besser kennenzulernen- das Fachchinesisch wird vertrauter, wer interessiert ist google‘t sich die Begriffe zusammen – leider zu weilen lückenhaft die Geschichte macht nicht immer nachvollziehbare Sprünge die noch Nachbesserungswürdig sind.
    Fazit: Nach wie vor lässt einen der Stoff nicht los – man giert schon nach neuen Abenteuern der 3 1/2 Wagemutigen Frauen die ihren SeeMann stehen…

  2. Danke für die aufregende “Mit”Reise, klasse geschrieben.
    Habe beim Lesen mitgefiebert. An die Überführung nach W werden ihr euch lange erinnern ⛵

  3. Hey, Nike. Danke für den Zugang!
    Was für ein Ritt!!!
    Hatte Teil II mittlerweile schon in der “Yacht” gelesen – aber mir gefällt dein spontaner Stil im Blog sogar besser als das redigierte Format.
    Gruß an alle “Erikas” und “Klausens”!

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