Der Händedruck ist kalt und feucht, als sie uns an der Tür empfängt. Bleich die weichen Züge um ihren Mund. Licht setzen. Hunderte von Watt brennen von fünf Stativen ihrem Gesicht entgegen. “Wenn ich Ihre Nummer gehabt hätte”, sagt sie, “dann hätte ich unser Interview abgesagt.”
Hoch oben und weit weg
Turm des RBB, Masurenallee in Berlin am Abend zuvor. “Wir müssen lernen, Fragen zu stellen.” Der Sportchef der FAZ sagt das, als sei das Fragen stellen so etwas wie das “Neuland”, das viele Journalisten noch lernen müssen. Dabei hat er Recht. Denn der Bundestagswahlkampf ist auch deshalb so öde, weil wir das Fragen stellen offenbar wieder üben müssen. Weil wir verlernt haben, in klaren Fragen klare Antworten zu fordern. Uns stattdessen vielfach der gleichen Worte bedienen wie die Politiker. Wie viele klare Aussagen dabei zum Vorschein kommen, mag jeder selbst für sich entscheiden.
Eine Sache von nur zehn Minuten
Für sich selbst entscheiden. Die fehlende Telefonnummer hat für sie entschieden, dass unser Interview doch stattfindet. 24 Jahre nach dem Untergang der DDR. 15 Jahre nach dem Prozess, der als Musterprozess für all’ jene galt, die das Staatsplanthema 14.25 ausgearbeitet, umgesetzt haben.
So wie sie. Sie, die nach einem Anruf des Verbandsarztes in das Zimmer ihres Chefs ging, den Panzerschrank aufschloss, die Pillen nach einem vorgeschriebenen Code in braune Glasfläschchen abzählte. Die Mengen in einem roten Buch notierte. Den Panzerschrank zuschloss. Die Fläschchen dem Trainer gab.
Zehn Minuten, sagt sie, hätte das meist nur gedauert. Zehn Minuten – nach einem Anruf alle paar Wochen. “Es gab keinen Grund, darüber nachzudenken.”
Parallelwelten
Im 14. Stock des Turms denken derweil Michael Vesper vom Deutschen Olympischen Sportbund und Dagmar Freitag vom Sportausschuss im Deutschen Bundestag darüber nach, wie sie vor gut 80 Sportjournalisten ihre jeweilige Partei im Kampf gegen Doping positionieren können.
Zu wenig Geld für die NADA, schimpft Freitag. Sofortige Sperre statt langwieriger strafrechtlicher Ermittlungsverfahren, ruft Vesper. Kein Wort darüber, dass der Sportausschuss am selben Tag die weitere Aufarbeitung von Doping in der BRD abgelehnt hat. Kein Wort darüber, dass auch im Spitzensport das Geld die Regeln schreibt. Kein Wort über die Medaillenvorgaben des Bundesministeriums für Inneres. Nur der Ex-Basketballnationalspieler Johannes Herber wird später sagen, unter welchem Trainingsdruck Sportler stehen, wollen sie die Vorgaben der Verbände erfüllen. Darauf: Schweigen.
Gott Trainer
Diesen Druck kennt auch sie. “Wenn man sich nach einer Trainingseinheit nicht mehr nach ihm oder ihr fühlt und dann das Glücksgefühl ausbleibt nach einem weiteren Sieg.” Sie ist gelaufen um die Medaillen. Zu einer Zeit, als das Doping in der DDR noch aus Sonderrationen an Milch bestand. Sie ist gelaufen für ihr Land, ist in ihrem Heimatort gefeiert worden. Bis ihre Schnellkraft nicht mehr wachsen wollte und der Vater, dass sie Medizin studiert. Für sie, die sie eigentlich Lehrerin werden wollte, blieb dann nur die Sportmedizin. Der Kosmos, in dem sie als junges Mädchen ihre Grenzen testete. Der Kosmos, in dem der Sport über allem stand. In dem der Trainer sagte, dass sie langsamer laufen würde, wenn sie das erste Mal mit einem Mann schlafen würde. Sie wird weinen in dieser ersten, ihrer ersten Nacht. Und sich verweigern.
Nach drei Stunden klappen wir die Stative zusammen. Ihre Hände sind warm und trocken.