Die Ukraine färbt sich an jenem Morgen rot auf der digitalen Alarmkarte. Zwei Drohnen treffen Odesa kurz nach sechs Uhr morgens.
Zehn Raketen. Sechs Drohnen. Zwölf dieser russischen Todesbringer hat die ukrainische Luftverteidigung in der Nacht zerstört. Bevor sie einschlagen konnten.
Die zwei Explosionen am Morgen kurz nach sechs Uhr Ortszeit in Odesa. Kurz nach 5 Uhr am Sonntagmorgen in Deutschland also. Sie waren der ukrainischen Armee zufolge Treffer. Dumpfe Gewalt.
Einen landwirtschaftlichen Betrieb soll es getroffen haben im Süden der Stadt. Anders als im Juli. Als die Treffer mitten in der Altstadt landeten – im Weltkulturerbe der UNESCO.
In der Verklärungskathedrale klafft noch immer ein Loch in der Mauer. Trümmer liegen aufeinander gestapelt hinter hölzernen Barrieren. Hinein dürfen wir trotzdem.
Vorbei an Sperrholzwänden statt Fensterscheiben. Entlang unterhalb der nun freiliegenden tragenden Konstruktion unter dem Gewölbe. Hinunter zwei Etagen tief. Leben wird dort gefeiert in der ukrainisch-orthodoxen Gemeinde. Tauffest in Odesa.
Die Sandsäcke fehlen nun zumeist, die noch im Januar dieses Jahres Schulen, Universitäten, die Oper geschützt haben. Die kleinen Generatoren auch. Odesa ist wieder versorgt mit Strom.
Was fehlt, ist offenbar so mancher Bewohner. «Продам» steht an den Fassaden von Häusern, hängt auf Bannern an Balkonen. Zu verkaufen. Das prachtvolle Odesa.
An einem der schönsten Aussichtspunkte stehen zwei Touristengruppen. Die ältere Stadtführerin spricht Russisch. Die jüngere Ukrainisch. Die Frauen zeigen auf ein Segelschulschiff, das nicht foto- oder videographiert werden darf. Genau so wenig wie der Hafen an sich.
Die Fußgängerbrücke zur berühmten Potemkinschen Treppe ein paar Hundert Meter weiter ist mit Stacheldraht abgesperrt. Dorthin darf nur das ukrainische Militär. Der Blick ist zu detailliert auf den bereits mehrfach von Russland bombardierten Hafen.
Auf der Fußgängerpromenade direkt oberhalb des größten Hafens in der Ukraine: die gleichen Verbotsschilder. Dahinter ein Gebäudekomplex, der eine Stomatologie beherbergt: Продам. Zu verkaufen. In Trümmern liegen auf dem Hafengelände unterhalb der Promenade noch Hallen. Wohnhäuser unmittelbar gegenüber auch.
Am einstigen Denkmal von Katharina, der Zweiten von Russland, fehlt die Zarin höchstselbst. Statt der Statue ragt nun eine ukrainische Flagge in den blauen Septemberhimmel. Im November vergangenen Jahres hatte die Stadt das Monument abreißen lassen. Aus Protest gegen den russischen Angriffskrieg. Katharina, die Große, hatte Odesa 1794 gegründet.
Nun stecken die Menschen kleine ukrainische Fahnen in den Rasen um den Sockel herum. Für die Toten des Krieges. Eine junge Frau schluchzt hinein in ChilloutMusik. Die kommt aus einem der unzähligen Lokale nebendran. Der junge Mann daneben wischt sich die Tränen aus den Augen, bevor er den Arm um sie legt.