Sonntagmorgen. Kurz nach halb sechs. Abdel* geht die Straße hinauf. Dreht sich um. Immer wieder. Es ist vielleicht eine halbe Stunde her, dass ihm einer ins Gesicht geschlagen hat. Auf einer Party vor einem Studentenclub.
Er kommt hoch auf einen Kaffee. Wir sitzen am Fenster. Er schnauft. Vor Wut. Dass der, der ihn geschlagen hat, ihm nicht noch einmal über den Weg gelaufen ist. Allein. Ohne die zwei Typen, die dabei waren vor dem Studentenclub.
“Weg hier”, sagt er. Er wolle weg hier. Nach Düsseldorf. Oder Nürnberg. Ansbach. “Erinnerst Du Dich an Mohammad? Der ist dort. Hat sogar Arbeit.” Abdel sucht hier seit Monaten nach einem Job. “Auf 450 Euro-Basis würden wir Sie gern einstellen”, sagt die Frau von der privaten Arbeitsvermittlung. Um ein paar Tage später anzurufen und mitzuteilen, dass Abdel die erforderlichen 20 Stunden nicht zusammenkriege, wenn er nur an den Wochenenden Zeit habe fürs Arbeiten. Der Deutschkurs montags bis freitags. Aufgeben? Dann kürzen sie ihm die Leistung. Dass Abel von den 450 Euro am Ende ohnehin nur 170 Euro bleiben würden, weil das Geld ihm auf den Hartz IV-Satz angerechnet würde, kommentiert er mit einem Achselzucken. “Das ist schlecht. Aber trotzdem – ich will arbeiten.”
“Anderthalb Jahre bist Du schon in Deutschland und hast noch nichts geschafft.” Vor zwei Monaten hat Abdels Onkel diesen Satz gesagt. Am Telefon. Es geht um 3500 Euro, die ein Schlepper kassiert hat für Abdels Flucht. Um 3500 Euro, die der Onkel bezahlt hat und nun wiederhaben will. “Ich brauche Arbeit. Dann kann ich jeden Monat etwas bezahlen.” Abdel reibt sich die Augen.
In ein paar Wochen will er nach Norwegen. Seine Eltern sehen. Nach anderthalb Jahren. Sie waren gemeinsam dort angekommen am Ende ihrer Flucht. Zwei Monate zuvor war Abdel 18 geworden. Volljährig. Er durfte nicht bleiben bei den Eltern. Sollte zurück nach Italien. Er ging und beantragte stattdessen Asyl in Deutschland. Er werde zur Polizei gehen in Norwegen. “Ich will norwegian ID, keine deutsche.” Verloren. Er habe sich selbst verloren. Partys. Alkohol. Ohne Familie. Ohne Freunde.
Die ersten 50 Jahre im Leben seien die schwersten, sagt er. Und dann grinst er. Grinst dieses Grienen, das ihm zahlreiche Bekanntschaften eingebracht hat hier. Auf dem Basketballplatz. Bei den Behörden. Im Studentenclub. Zuversicht sieht anders aus.
* Name geändert