Rot ist der Apfel. Von Kinderhand gezeichnet. Einen Mund hat er. Der lacht. Darunter in Großbuchstaben: “Jablonkij”. Eine Frau hängt das DIN A4 Blatt auf. An einer Leine zwischen zwei Bäumen. Im Park am Bahnhof in Belgrad. Ein Wörterbuch im Freien.
Sie kennen sich aus mit Flüchtlingen. Sagen sie in Serbien. Siebenhunderttausend waren es im JugoslawienKrieg, die allein dort Zuflucht suchten. Vor zwei Monaten haben sie das letzte dieser Flüchtlingszentren geschlossen. Dass Ungarn, dass Kroatien, dass Slowenien, dass Deutschland die Grenzen schließt – daran hat im Juli in Serbien noch niemand gedacht.
Nun sitzen sie fest in Serbien. Syrer. Mehr noch Afghanen. Auch Eritreär. Und werden von den geschlossenen Checkpoints in Busse gebeten. Die nach Kanjiza fahren. Zum Beispiel.
Vor zwei Wochen noch war dort für niemanden mehr Platz. In der Notunterkunft im serbischen Grenzland. Wo Maisfeld an Maisfeld stößt. Wo die bäuerlichen Großbetriebe von einst in staubigen Haufen am Straßenrand liegen. Und sich so viele Menschen das Leben nehmen wie nirgends sonst in der Republik. Inzwischen lädt nur noch ein Dutzend Menschen das Handy an der Verteilerdose, die unter jeder der blauen und grünen Zeltplane vom Gestänge baumelt. Wlan in Kanjiza – verfügbar und kostenlos. “Of course. It’s the only way they can stay in contact with their families. And it’s cheap and simple.” Of course. Natürlich.
“Bye!! ByeBye!!!” Eine Gruppe Afghanen. Sie rufen und winken. Unter Bäumen gesessen haben sie tagelang. Auf den Linienbus gewartet, der zwischen Kanjiza und Subotica über die schmale Straße inmitten der Felder führt. Dass der nicht kommen wird heute oder morgen, weil er für die Menschen an den Checkpoints gebraucht wird, erfahren sie von den Mitarbeitern einer Hilfsorganisation. Neben Informationen bringen sie Wasserflaschen. Weil sich der Wagen mit dem Trinkwassertank verspätet. Unfall. Stau auf der Autobahn.
Nun zieht der Treck über den glitzernden Asphalt. Sucht nach einer anderen Bushaltestelle. Die Landkarte haben sie studiert. Mit ihren Fingern die Wege über die Grenze nachgezeichnet. Eine Ungarin hat mit ihnen auf dem Boden gehockt und sie ihnen gezeigt.
Es sind zu viele Gesichter, um sie wiederzuerkennen im Park mit dem Apfel auf Papier. Hinter den zusammengestellten weißen Tüchern, die die Blicke der Passanten abschirmen sollen, wenn sich die Menschen aus dem Park auf die Liege legen. Und Ärzte nach der Arbeit weiter verbinden, spritzen, Rezepte ausstellen. Für Salben wegen wunder Füße. Gegen Schmerzen in zerschossenen Hüftgelenken.
Heiß noch ist der Herbst in Belgrads Parks. Es liegt ein Dösen über der zerrissenen Erde. Jeans auf Tannenzweigen – aufgehängt zum Trocknen. An den Stämmen der Platanen kleben Zettel der Wirtschaftsfakultät nebenan, die einhundertprozentigen Erfolg in ihren Mathekursen garantieren. Ein kleiner Junge, der aus einem Dixie stolpert. Den wohl ersten Ekel im Gesicht. Menschen, die mit dem Handy draufhalten. Im Vorbeigehen.
Wer wartet im Park auf die verlorenen Familienmitglieder, der ruht sich aus unter den Platanen. Nimmt die Erbsen und die Cracker, nimmt den Apfelsaft und die Pfirsiche, die junge Frauen in grünen Plastiktüten herbeitragen. Wer die zehn Euro hat für den Bus nach Sid, der packt die Sachen vor dem Dunkelwerden. Steigt ein. Und hofft, dass Kroatien welcome sagt.